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Wie authentisch ist Patagonia?Das Geschäft mit dem reinen Gewissen

Die Outdoor-Marke verkauft nachhaltige Funktionskleidung mit rebellischen Etiketten – und belieferte mal das US-Militär. Ein Blick hinter den Mythos.

Wenn man in die Berge zum Wandern geht, sollte die Ausrüstung stimmen Illustration: Carmen Seils

Neulich habe ich eine Bekannte seit einer geraumen Weile wieder gesehen. Zu meinem Erstaunen trug sie eine Bauchtasche der Marke Patagonia. Früher lästerte sie regelmäßig über Outdoorkleidung. Sie fand es lächerlich, dass Leute bei Wanderungen oder in der Stadt so was tragen, was verständlich ist, wenn man wie sie nur einmal um den Block läuft. Sicherlich ging es ihr auch um den Style. Sie, die früher keine zehn Gämsen auf einen Berg bekommen hätten. War das anders geworden?

Nun kann ich nur Vermutungen darüber anstellen, warum sie plötzlich die Bauchtasche eines hippen Unternehmens trägt, das dafür bekannt ist, Ausrüstung für draußen zu liefern. Nicht nur nachhaltig, sondern „verantwortungsvoll“, wie Michael Austermühle, der Deutschland-Chef von Patagonia sagte. Was für meine Bekannte schon immer bedeutsam war. Auch oder gerade, weil es sich nicht je­de:r leisten kann.

Patagonia nähte 2020, vor der Wahl Trumps, Etiketten in die Klamotten ein mit der markigen Parole „Vote the assholes out“. Das Unternehmen fordert schon mal zum Black Friday 2011 „Don’t buy this jacket“ in einer Anzeige in der New York Post. Diese Form der Antiwerbung zündet und unterstreicht ihr punkiges Image. Hinzu kommt, dass die Kleidung durchaus hübsch ist und Mensch auch in der Wildnis gestylt ist, selbst wenn das Fuchs und Hase ziemlich wurscht sein dürfte.

Viel relevanter wäre da die Funktionalität: wasserdicht und schnell trocknend. Wie bei Tieren die Federn oder das Fell. Bei menschlichen Tieren gilt das vor allem für Regenjacke und Bergschuhe. Wenn die Jacke dann noch glitzert und dicht ist, gerne. Wenn die Schuhe aber fancy aussehen, drücken und dicke Blasen produzieren: Nein, danke! Aber wenn Patagonia-Kleidung das erfüllt, fein.

Der Autor

Leonhard F. Seidl ist Schriftsteller, hat kürzlich den Watzmann überschritten und war in vier Nationalparks Stipendiat. Jetzt sind seine dort entstandenen Geschichten und Essays im Sammelband „Beim Anschüren des Eisvogels – Nature Writing oder vom Schreiben aus dem Gelände„ in einer Auflage von 500 Exemplaren bei Killroy Media erschienen.

Für Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen dürfte diese Marke aufgrund des hohen Preises nicht zur Debatte stehen. Dann müssten sie noch häufiger auf das Essen zugunsten ihrer Kinder verzichten. Die greifen dann verständlicherweise lieber auf die Ausrüstung aus dem Discount-Outdoorladen zurück, selbst wenn ihnen der Planet am Herzen liegt.

Berge im Kopf

Falls meine Bekannte überhaupt in die Berge gehen würde, wäre es bei ihr gefühlt wie bei einigen Bergsteiger:innen, die ich auf Hütten treffe und die mich zurückversetzen ins 19. Jahrhundert, wo „in den Bergen zu sein, nichts anderes (bedeutete), als eine Rolle zu spielen“, wie der Schriftsteller Robert McFarlane in „Berge im Kopf“ schreibt. „Die Berge lieferten […] eine alternative Welt, in der man sich selbst neu erfinden und sein konnte, wer immer man sein wollte.“ In dem Fall: Kon­su­men­t:in­nen mit reinem Gewissen, die vor dem Marienmarterl keine drei Vaterunser beten müssen, da man den Ablass bereits im Outdoorladen bezahlt hat.

Bei meiner letzten Hüttentour traf ich auf ein junges Pärchen. Er: Patagonia-T-Shirt und Pulli. Sie: Patagonia-Jacke, das Shirt sah ich nicht. Sie trugen einen Goldbarren am Leib. Zu meinem Erstaunen aßen sie lediglich das Bergsteiger:innen-Essen, das es glücklicherweise auf jeder DAV-Hütte für Mitglieder des DAV geben muss. Ich dagegen labte mich nach einem Tag voller Müsli- und Proteinriegel am Berg mit meiner vegetarischen Halbpension: Pfannkuchensuppe, Kichererbsencurry und Eis. Je­de:r setzt halt seine Prioritäten anders.

Ich packe in meinen Rucksack: eine leichte Regenjacke mit einer möglichst hohen Wassersäule, also möglichst dicht, die ich meist im Sale erwerbe.

Illustration: Carmen Seils

Dazu: ein billiger Windbreaker, selbst die beste Jacke ist irgendwann durch. Ein Sherpa aus Nepal erzählte einmal, er ziehe eine Mülltüte über sich und den Rucksack. Außerdem Regenhose und natürlich meine geliebten Bergschuhe, die sogar wieder neu besohlt werden können. Ein schnell trocknendes T-Shirt und eine warme leichte Jacke, falls der Regen bei der Watzmannüberschreitung am Gipfelkreuz der Südspitze auf 2.712 Meter zu Schnee wird. Dazu ein Notfallbiwacksack des DAV, den ich bis jetzt noch nie auspacken musste.

Glücklicherweise würde mich die Bergrettung auch ins Tal holen, ohne fett gestylt zu sein. Denn die scheren sich weder um sexuelle Orientierung (hetero cis-Mann), noch um Herkunft (oberbayerischer Migrationshintergrund) oder Klasse (Lumpenproletariat). Die werden nur grantig, wenn ich in Bademantel und Stöckelschuhen auf die Zugspitze hatsche.

Mit Patagonias PR-Agentur hatte ich einen regen Mailverkehr auf meine Fragen hin. Sie waren sehr interessiert an dem Grundthema des Artikels. Und ob es rein um Patagonia oder auch noch um andere Unternehmen gehen würde. Als ich antwortete, dass es auch um andere Unternehmen gehen würde, kam die Frage, um welche Unternehmen.

Warum auch immer, handelt es sich bei Patagonia doch um ein Unternehmen wie aus dem Bioladen-Bilderbuch. Ich erfuhr einiges über ihre „verantwortungsvolle“ Produktion und das soziale Engagement des heute 86-jährigen Gründers Yvon Chouinard. 2022 Firma verschenkt, 100 Prozent des Gewinns gehen fortan in das Engagement gegen die Klima­krise und damit in den Umweltschutz. Respekt!

Unterhemden für die US-Militär-Kälteeinheiten

Man kann Kleidungsstücke einschicken und sie werden repariert, zeitweise fuhr sogar ein Reparaturmobil durch die USA. In einem Spiegel-Artikel erfuhr ich, dass die Firma nicht nur die Reisekosten in andere US-Staaten bei Abtreibungen übernähme, sondern auch „mögliche Kautionskosten“ trage „für Mitarbeiter, die friedlich für ‚reproduktive Gerechtigkeit‘ demonstrierten und festgenommen würden“.

Dürfen Rich­te­r:in­nen am Bundesverfassungsgericht jetzt überhaupt noch Patagonia tragen? Worauf ich nur unbefriedigende Antworten erhielt, waren die Fragen nach der Ausstattung von Spezialeinheiten des US-amerikanischen Militärs. Meine Frage, ob die US-Amerikanische Abschiebetruppe ICE Halstücher zum Vermummen oder andere Kleidung aus deren Produktion trägt, blieb unbeantwortet.

Es wurden lediglich Auszüge aus der Firmenchronik auf Englisch geschickt. Darin steht, dass 1974 das Marine Corps Mountain Warfare Training Center ausfallsichere Eispickel testete und einige Jahre später die US Special Operations Forces feuchtigkeitstransportierende Unterhemden für ihre Kälteeinheiten kauften.

Es folgten Bestellungen für starre Steigeisen, Eispickel, Steigklemmen, Tricams und Schneeschuhe. 2004 hätten sie endlich den Anschluss gefunden und ihre Abteilung für Regierungsverkäufe formalisiert. „Anschluss gefunden“ und „Abteilung für Regierungsverkäufe formalisiert“?

Illustration: Carmen Seils

Bei einem derartigen Sprech habe ich das Gefühl, der oder die Sprechende trägt Camouflagekleidung. 2022 wurde der seit 2016 Lost Arrow Project genannte Produktionszweig an einen ehemaligen Kollegen von Patagonia verkauft und in Forgeline Solutions umbenannt.

Natürlich hätte man es in Zeiten, in denen das US-Militär noch Seite an Seite mit der Armee des selbstverwalteten Rojava gegen den IS kämpfte, als moralisch integer bezeichnen können, wenn ein Outdoor-Unternehmen die Truppen ausrüstet. Und was wäre, wenn die Marke in den nächsten Jahren mit AfD und CDU/CSU „Regierungsverkäufe formalisieren“ und die Rechtsnationalen einen Krieg anzetteln?

Dann wäre ich natürlich erleichtert, wenn mein Sohn aufgrund dessen nicht in einem Sarg aus dem Krieg heimkehren würde. Der würde allerdings eher desertieren als feuchtigkeitstransportierende Unterhemden zu tragen. Dennoch sind Kriege alles andere als nachhaltig, die Umweltverschmutzung durch Kampfflugzeuge und Granaten ist enorm und deren ökologischer Bombenkrater noch nicht einmal erfasst.

Nietzsche nannte Tage, in denen Seelenruhe herrscht, Halkyonische Tage. Nach dem Mythos der Alkyone, die nach dem Tod ihres Gatten in einen Eisvogel verwandelt wurde.

Für manchen Menschen herrscht Seelenruhe, wenn er korrekt konsumiert, sich ein gutes Gewissen kauft und damit auch noch trendy ist. Die Dissonanz zu ertragen, oder ertragen zu müssen, aufgrund der Klasse kein richtiges Leben im Falschen führen zu können, erinnert ei­ne:n vielleicht daran, dass durch Konsum die Welt nicht gerettet werden kann. Lifehack: Ganz im Sinne Patagonias gar keine Produkte kaufen.

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