Wie Landwirte den Castor-Transport blockierten: Betonprofis unter sich
Mit ausgefeilter Technik und viel Mut haben Landwirte im Wendland den Castor elf Stunden lang aufgehalten. Über das Innenleben eines Betonblocks - ein Ortstermin.
Es ist eine unglaubliche Armada technischen Geräts, das die Polizei aufgefahren hat. Flutlichtanlagen leuchten die schmale Dorfstraße von Grippel aus, Generatoren dröhnen. Im grellen Licht kommen schwere Presslufthämmer zum Einsatz, Betonsägen, Schlaghämmer, Metallsägen, Trennschleifer.
Die Objekte, an denen die Polizeitechniker sich die Zähne ausbeißen, sehen äußerlich nicht sonderlich kompliziert aus. Zwei Betonpyramiden, etwa einen Meter breit und eineinhalb Meter hoch, gelb bemalt und mit Logos von Atomkonzernen versehen. Doch in jeder der jeweils vier Seiten steckt ein Arm: Sieben Männer und eine Frau, allesamt Mitglieder der "Bäuerlichen Notgemeinschaft", haben sich im Innern der Betonkonstruktion angeschlossen.
Am Montagmittag gegen 11 Uhr hatten die Landwirte die Pyramiden auf die Straße geschafft, berichtet einer der Blockierer, der 41-jährige Biolandwirt Hans-Jürgen Büsch, der taz. Die von der Aktion überrumpelte Polizei dachte zunächst, dass sie die Hindernisse anheben und mitsamt der befestigten Menschen zur Seite bewegen könnte. Das hatte schon vor zwei Jahren bei einer ähnlichen Aktion geklappt. Doch die Bauern haben dazugelernt. Diesmal ist die Pyramide zweigeteilt: Unter einer äußeren Schicht befindet sich ein innerer Kern. Die Arme der Blockierer gehen durch ein Rohr in der äußeren Schicht in den inneren Block, wo sie mit einem Vorhängeschloss an einer Metallstange fixiert sind. Würde die Pyramide auch nur ein kleines Stück angehoben, würden die Arme der Blockierer abgetrennt.
Das will die Polizei zunächst nicht glauben. "Erst als ich ihm mein Ehrenwort gegeben habe, dass die Konstruktion so funktioniert, hat der Einsatzleiter aufs Anheben verzichtet", berichtet Landwirt Büsch. Obwohl genug Unterstützer der Bauern vor Ort waren, um gefährliche Aktionen der Polizei zu verhindern, hatte er doch Sorge. "Ich habe lieber den linken Arm in die Röhre gesteckt", sagt der Rechtshänder.
Die Polizei glaubt den Bauern dann aber doch. "Wir können kein Risiko eingehen", sagt Kai Richter, der den Einsatz als Sprecher der Lüneburger Polizei vor Ort verfolgt. Bilder von abgetrennten Armen will die Polizei auf jeden Fall vermeiden. So rücken denn die polizeieigenen Techniker an, untersuchen die Konstruktion und beginnen gegen 15 Uhr damit, den Beton zu bearbeiten. Doch schnell stellt sich heraus, dass die Landwirte ihnen immer einen Schritt voraus sind.
Der Einsatz eines Endoskops, mit dem die Polizei ins Innere der Röhren schauen will, scheitert: Der Innenraum ist mit Rasierschaum gefüllt. Betonsägen werden durch eingeschlossene Metallstangen behindert. Selbst Bohrmaschinen können nicht viel ausrichten, denn die Landwirte haben Gummi in den Beton eingearbeitet. "Da frisst sich jeder Bohrer fest", sagt Blockierer Hans-Jürgen Büsch.
Aus diesem Grund dauert es Stunden, bis sich die Techniker ins Innere der Blöcke vorgearbeitet haben. Die Landwirte werden unterdessen mit Decken, Helmen und Schilden geschützt und permanent ärztlich betreut. "Sicherheit geht vor Schnelligkeit", sagt Polizeisprecher Richter. Die Stimmung ist entspannt. Die zur Unterstützung der Bauern angerückten Demonstranten ziehen sich an den Straßenrand zurück, damit die Techniker in Ruhe ihre Arbeit machen können.
Dennoch geht es nicht ohne Blessuren ab: Mit einem Schlagbohrer durchstößt ein Arbeiter das Rohr und verletzt Hans-Jürgen Büsch an der Hand - kurz bevor er um 19.30 Uhr als zweiter der acht Blockierer befreit wird. Erst um 22.13 Uhr ist - nach über elf Stunden - auch der letzte Landwirt frei. Auf alle acht warten jetzt Anzeigen wegen Nötigung. Zudem prüft die Polizei Schadensersatzklagen. Doch zunächst drängen alltäglichere Sorgen: Hans-Jürgen Büsch sitzt am Dienstag schon wieder auf dem Trecker, um Möhren zu ernten.
Von der Blockade ist am nächsten Morgen nicht mehr viel zu sehen. Die Pyramiden hat die Polizei mitgenommen, um sie genauer zu untersuchen. Und den losgemeißelten Schotter wollen die Landwirte versteigern - um ihre Aktion zu finanzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten