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Wie Deutschland Europas Wähler radikalisiertLeitkultur der Zucht und Ordnung

Berlin hat die EU, wie sie bisher funktioniert hat, selbst aufs Spiel gesetzt. Als Solidarität zwischen den EU-Staaten gefragt war, reagierte Deutschland mit Härte

Zu Hause bei Fremden

von Miguel Szymanski

Nach dem Sieg der deutschen Austeritätspolitik über die griechische Demokratie schien es eine Atempause lang, als hätten alle aufmüpfigen Staaten links des Rheins und südlich der Alpen verstanden, dass gegen die Doktrin Berlins keine andere Politik möglich ist. Es war pyrrhuesk: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hätte nach der Niederlage Athens eigentlich irgendetwas Historisches sagen müssen wie „Noch so ein Sieg, und die EU ist verloren“.

In Portugal hat der Widerstand gegen die Rechtsregierung, die vier Jahre lang im Namen des deutschen Spardiktats das Land im Würgegriff hatte, erstmalig alle Linksparteien fest zu einem Antiausteritätsbündnis zusammengeschlossen. Vor sieben Wochen errangen Sozialisten, Kommunisten und der Linksblock Bloco de Esquerda in Portugals Parlamentswahlen die absolute Mehrheit und würden bereits eine Regierung gebildet haben, wenn der berlintreue portugiesische Staatspräsident nicht mit allen Mitteln versuchen würde, die rechte Regierung des bereits über ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzten Premierministers mit fragwürdigen präsidentiellen Befugnissen im Amt zu halten. Dabei wollten Berlin und Banken eigentlich, dass die portugiesischen Sozialisten der PS (entspricht der SPD in Deutschland) Juniorpartner der PSD in einer Großkoalition der Mitte würden. Doch anders als die SPD haben sich die PS in Portugal und ihr neuer Parteivorsitzender, António Costa, für „Lieber rot als tot“ entschieden.

Am 20. Dezember wird es in Spanien so weit sein. Auch dort wird die berlinhörige Regierung allen Umfragen nach stürzen und der Widerstand kommt an die Macht. In der kleinen Geo­politik der EU sind drei solche Indizien eigentlich schon ein Beweis für die Unhaltbarkeit der deutschen Position. Eine Radikalisierung, die Reaktion auf das deutsche Spardiktat ist. Doch die größte Gefahr für die längst fällige deutsche Hegemonie in der EU geht nicht von Griechenland, Spanien und Portugal aus. Frankreich ist dabei, den Gnadenstoß zu versetzen.

Bis zu den Anschlägen in Paris sah es so aus, als könnte nur ein Wahlsieg von Frau Le Pen die deutsch-französischen Beziehungen in der EU kippen. Nach den Anschlägen braucht es aber nicht einmal einen Wahlsieg Sarkozys in 2017, um Frankreich aus der in Berlin gewünschten Bahn zu bringen. Hollande selbst entdeckt die Grandeur der Grande Nation wieder und ist dabei, die schwache Position, die Frankreich gegenüber Berlin bisher eingenommen hat, abzuschütteln. Eine rechtsextreme Präsidentin Le Pen würde den Zerfall der Union nur beschleunigen. Notwendig ist sie aber nicht. Da reicht jetzt schon ein Hollande.

Frau Merkels Regierung hat sich das Durchsetzen der deutschen Interessen seit Anfang der Bankenkrise in Europa teuer erkauft – teurer als die ganzen faulen Kredite des Südens, die mit „Rettungspaketen“ finanziert wurden, die letztendlich die Bilanzen der deutschen Kreditgeber sauber und die deutsche Exportindustrie weiter im Boom halten sollte. Berlin hat die EU, wie sie bisher funktioniert hat, selbst aufs Spiel gesetzt. Als Solidarität zwischen den EU-Staaten gefragt war, reagierte Deutschland mit Härte. Als die EU-Partner Härte in der Flüchtlingskrise wollten, reagierte Deutschland mit im Ausland unverstandener Solidarität. Überall in der EU radikalisieren sich nach links und nach rechts Wähler und Parlamente auf der Suche nach neuen Lösungen und Alternativen zur deutschen Leitkultur der Zucht und Ordnung. Es ist keine Zerreißprobe mehr, es ist das Reißen an sich. Im Nachwort zur Merkel-Ära wird so etwas stehen wie: stählern im Spardiktat, schwankend in der Flüchtlingspolitik, verwirrt im europäischen Spiel, verloren im Weltgeschehen.

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