Widerstand gegen Teilgesundheitsreform: Österreichs Ärzte drohen mit Streik
Mediziner wollen Gesundheitsreform kippen. Dabei geht es ihnen vor allem um die Bewahrung ihrer Privilegien.
WIEN taz Österreichs Ärzteschaft plant den Aufstand. Ab 16. Juni sollen drei Tage die Praxen geschlossen bleiben, damit die geplante Teilgesundheitsreform gekippt wird. Während der Fußball-EM, ausgerechnet an dem Tag, an dem in Wien Österreich gegen Deutschland und in Klagenfurt Polen gegen Kroatien spielt, soll der landesweite Streik besondere Wirkung entfalten.
Was den Zorn der Ärztekammer so erregt, sind vor allem drei Punkte in der unlängst präsentierten Vorlage für eine Gesundheitsreform: Ärzte sollen künftig nur noch Wirkstoffe und keine Präparate verschreiben dürfen. Die Auswahl würde der Apotheker treffen. Diese sogenannte Aut-idem-Regelung hat das Ziel, die Verschreibung billigerer Generika zu fördern und das Budget der Kassen zu entlasten.
Zweiter Punkt ist die Rechnungspflicht. Auch Kassenärzte, die ihre Behandlungen mit Kassen abrechnen, müssen den Patienten eine Rechnung ausstellen, aus der die Leistung abzulesen ist. Das richtet sich gegen die Praxis, der Kasse mehr Leistungen zu berechnen, als erbracht wurden. Drittens sollen die Kassen ermächtigt werden, mit Ärzten auch individuell Verträge zu schließen, nicht nur, wie bisher, kollektive mit der Ärztekammer.
Ärztekammerpräsident Walter Dorner sprach von "genetischen Ärztehassern", die dieses Projekt ausgeheckt hätten. Die Novelle wurde Mitte Mai von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky, ÖVP, und Sozialminister Erwin Buchinger, SPÖ, präsentiert. Konzipiert wurde sie aber von den Sozialpartnern, also dem Gewerkschaftsbund und dem Wirtschaftsbund, die die Entlastung der defizitären Krankenkassen im Auge haben. Buchinger und Kdolsky schien es darum zu gehen, das Projekt als gemeinsames Kind zu präsentieren. Mit der Ärztekammer war das nicht abgestimmt.
Verlierer der Novelle wären vor allem die über 1.000 Ärzte mit eigener Apotheke. Sie bekommen von den Pharmafirmen Rabatte, die sie an die Patienten nicht weitergeben. Dass Rabatte manchmal schon ab einer Packung gewährt werden, legt nahe, dass die Mediziner für das Verschreiben bestimmter Präparate belohnt werden. Mehr als 30 Millionen erwirtschaften die Ärzte jährlich durch solche Nachlässe. In Österreich ist es zudem Usus, dass Ärzte sich von den Pharmakonzernen auf Kongresse einladen lassen und oft die Familie mitnehmen dürfen.
Die Ärzte, die um ihre Privilegien bangen, verstanden es, auch die Patienten gegen die geplanten Neuerungen aufzubringen. Da half es nichts, dass ein deutscher Experte von überwiegend positiven Erfahrungen mit der Aut-idem-Regel in Deutschland berichtete.
Patientenanwalt Gerald Bachinger hält die Reaktion der Ärztekammer für überzogen: "Die Patienten werden in Geiselhaft genommen für die Durchsetzung der Interessen der Ärzte." Er appellierte an die Politik, nicht zurückzustecken. Die Aut-idem-Regelung enthalte genug Schutzmechanismen, so dass keine Gefahren wie Zweiklassenmedizin oder minderwertige Medikamente drohten.
Die Krankenkassen wollen prüfen, ob das angedrohte Vorgehen der Ärzte rechtlich gedeckt ist. Erich Laminger, Vorstand des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, warf den Ärzten Vertragsbruch vor. Jeder, der sich am Streik beteiligt, "würde von sich aus seinen Vertrag für aufgekündigt erklären".
Mit eigenen Ambulanzen wollen die Kassen an den Streiktagen Versorgungsengpässe verhindern. Die Ärztekammer will immerhin überlegen, ob der Ausstand nicht an weniger heiklen Tagen stattfinden soll.
Gesundheitsökonomen werfen der Regierung vor, nur ein Reförmchen zu wagen, die großen Brocken der Gesundheitsreform aber auf die lange Bank zu schieben. Die würde Rationalisierungsmaßnahmen in den Kliniken bringen müssen. Dagegen leisten aber die Länder, die die Krankenhäuser verwalten, Widerstand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!