Widerspruchslösung für Organspende: Der Kampf um Lebenszeit
CDU-Gesundheitsminister Spahn will, dass künftig aktiv widersprechen muss, wer seine Organe nicht spenden will. Dafür gibt es gute Argumente.
Die Debatte ist hoch emotionalisiert und mit Metaphern gesättigt, und das ist ein Teil des Problems. Von einer drohenden „Organabgabepflicht“ spricht der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, im Evangelischen Pressedienst. Vor einer verschärften „Vertrauenskrise“ warnt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch.
Dabrock und Brysch rügen den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der eine „Widerspruchslösung“ bei der Organspende durchsetzen möchte. Einen eigenen Gesetzentwurf will der Minister dabei nicht einbringen, sondern eine Debatte im Bundestag anstoßen. Spahn ist für die sogenannte doppelte Widerspruchslösung. Damit sollen BürgerInnen im Falle eines Hirntods automatisch Organe entnommen werden können, es sei denn, sie haben zu Lebzeiten aktiv dagegen gestimmt. Nach dem Hirntod können zudem noch die Angehörigen einer Organentnahme aktiv widersprechen.
Bisher gilt in Deutschland die Entscheidungslösung: SpenderInnen müssen zu Lebzeiten aktiv einer potenziellen Organspende zustimmen, etwa durch Ausfüllen eines Organspendeausweises. Wenn kein Ausweis vorliegt, können auch noch die Angehörigen die Zustimmung zur Organspende erteilen. Ansonsten dürfen keine Organe entnommen werden. Kritiker rügen die Transplantionsmedizin ohnehin als „Ausweiden“ der Körper, die zum „Ersatzteillager“ werden.
Dabrock vom Deutschen Ethikrat nennt die von Spahn geforderte Widerspruchslösung, die es beispielsweise schon in Spanien gibt, einen „Paradigmenwechsel“. Die „Organspende“ würde damit zu einer „Abgabepflicht“. Doch einer Pflicht könnte man sich nicht entziehen – dabei ist genau das möglich bei der Widerspruchslösung durch den zu Lebzeiten eingelegten und in einer Datenbank registrierten Widerspruch.
Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz warnt vor einer Verstärkung der „Vertrauenskrise“ im Verhältnis zur Transplantationsmedizin, käme die Widerspruchslösung. Eine „Vertrauenskrise“ gibt es jetzt schon in der Haltung vieler BürgerInnen zur Transplantationsmedizin. Die Zahl der OrganspenderInnen brach 2012 ein, als aufgedeckt wurde, dass Mediziner Wartelisten manipulierten, damit ihre schwerkranken Patienten eher an die raren Spenderorgane kamen.
Neue moralische Konflikte
Durch Medienberichte wurde bekannt, dass die Kreislauffunktionen der hirntoten Patienten während einer Organentnahme durch intensivmedizinische Maßnahmen aufrechterhalten werden müssen. Diese „organprotektiven Maßnahmen“ wirken auf manche Menschen fälschlicherweise so, als seien Organspender möglicherweise doch noch irgendwie am Leben und als könne hier manipuliert werden. Der Hirntod ist aber eine eindeutige Diagnose.
Die begrüßenswerte Widerspruchslösung brächte allerdings neue moralische Konflikte. Sich als Nichtspender registrieren zu lassen wäre ein eigener Handlungsakt. Bin ich dann zu verurteilen, weil ich mich Todkranken verweigere? Sollen registrierte Nichtspender im Falle einer schweren Erkrankung als potenzielle Organempfänger noch auf Wartelisten kommen?
Kein Wunder, dass Spahn die politische Entscheidung an die Abgeordneten des Bundestages delegieren möchte. Bei diesem Thema gibt es keine politischen Gewinner. Aber: 10.000 Patienten stehen auf den Wartelisten bei nur knapp 800 SpenderInnen in Deutschland im vergangenen Jahr. Sie warten auf mehr Spender, mehr Lebensjahre. Vielleicht gibt es einfach kein besseres Argument.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag