piwik no script img

Widerrufenes Geständnis in Lübeck

Staatsanwaltschaft ermittelt zwei Jahre nach dem Brand im Asylbewerberheim erneut gegen vier junge Männer aus Grevesmühlen. Einer von ihnen, Mike W., legte ein Geständnis ab und widerrief es kurz darauf  ■ Von Simone Sigmund

Lübeck (taz) – Die Lübecker Staatsanwaltschaft ist vorsichtig geworden – im Fall der Lübecker Brandkatastrophe in einem Asylbewerberheim im Januar 1996. Zwar hat die Staatsanwaltschaft schon seit sechs Wochen vier bereits damals verdächtige junge Männer aus Grevesmühlen wieder unter Verdacht, doch mit einer offiziellen Bewertung halten sich die Staatsanwälte diesmal zurück: Eine abschließende Bewertung der laufenden Ermittlungen sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, ließen die Staatsanwälte gestern schriftlich mitteilen.

Vor zwei Jahren dagegen schien für die Ermittler bereits zwei Tage nach dem Brand alles klar. In der Brandnacht starben 10 Menschen, 38 wurden zum Teil schwer verletzt. Der Hausbewohner Safwan Eid war als Tatverdächtiger festgenommen worden, weil ein Rettungssanitäter glaubhaft versichert habe, Eid habe ihm auf dem Weg ins Krankenhaus gestanden: „Wir warn's.“

Drei Monate später lag die Anklage wegen schwerer Brandstiftung vor. Doch nach zwei weiteren Monaten entließ das Lübecker Landgericht den Libanesen aus der Haft. Noch ein Jahr weiter, im Juni vergangenen Jahres, sprach die Jugendstrafkammer Safwan Eid aus Mangel an Beweisen frei. Das Motiv für die Tat blieb unklar, ebenso wie, wann und wodurch das Feuer ausgebrochen war. Auch die Staatsanwaltschaft hatte auf Freispruch plädiert. Die Ankläger waren von der Verteidigung, der Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, und linken Unterstützerkreisen während der Ermittlungen und der 10monatigen Verhandlung heftig kritisiert worden. Das neue Ermittlungsverfahren gegen die vier Grevesmühlener, die der rechtsradikalen Szene zugerechnet werden, nahm seinen Anfang am 23. Februar. Der 20jährige Maik W. machte eine belastende Aussage im Gefängnis von Neustrelitz. Dort sitzt er den Angaben zufolge ein wegen eines Diebstahlsdelikts. Nach Angaben der Ermittler hat er eingeräumt, zusammen mit den anderen drei Grevesmühlenern für das Inbrandstecken des Asylbewerberheims verantwortlich zu sein. Diese Aussage widerrief er allerdings drei Tage später. Einer der drei anderen ist bereits vernommen worden und bestreitet die Tat. Zwei des Quartetts haben sich anwaltlichen Beistand geholt.

Immer wieder waren die vier als mögliche Täter verdächtigt worden. Sie waren bereits am Tag des Brandes als Verdächtige festgenommen worden. Man hatte sie am Brandort nach dem Ausbruch des Feuers beobachtet. Doch zur damals von der Staatsanwaltschaft angenommenen Brandausbruchszeit waren sie von einer Polizeistreife kilometerweit entfernt vom Brandhaus gesehen worden.

Erneut ins Visier gerieten die vier, als bekannt wurde, daß drei von ihnen nach der Brandnacht frische Sengspuren an Haaren, Augenbrauen und Wimpern hatten. Ihre Erklärungen dafür waren dürftig: einen Hund angezündet, in den Mofatank mit Feuerzeug geguckt. Doch die Staatsanwälte konnten diese Angaben nicht widerlegen.

Vor etwa einem Jahr machte Maik W. schon einmal eine Art Geständnis. Erwischt bei einem Ladendiebstahl, soll er erklärt haben, er habe etwas in Lübeck angezündet, nannte aber offenbar ein falsches Datum. Die Ermittler hakten erfolglos nach. Auch von dem neuen Geständnis sind die Staatsanwälte offenbar nicht überzeugt. Da ist nichts dran, so die Stellungnahme eines Ermittlers. Der 20jährige habe widersprechende Angaben gemacht, seine Aussagen passen nicht zu den Erkenntnissen der objektiven Tatumstände. Ein anderer berichtet davon, daß Maik W. in einer psychisch schlechten Verfassung sei. Gewissenhaft soll dennoch alles überprüft werden. Die Lübecker Ankläger wollen es offenbar vermeiden, erneut ins Kieler Justizministerium bestellt zu werden, um sich gegen den Vorwurf der schlampigen Ermittlungen verteidigen zu müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen