: Wider die Zentralbürokraten
■ Bezirksverwaltungsreform: Rot-grauer Streit über eine längst überfällige Modernisierung des Stadtstaats-Apparates Von Florian Marten
Regierungskrise? Voscherau-Rücktritt? Neues Öl ins Feuer des rot-grauen Streites um die Bezirksverwaltungsreform goß am Wochenende Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem: Er halte, so verriet er, kompromißlos an den Eckpunkten seines Reformvorschlags fest. In den Verhandlungen mit dem Voscherau-Vertrauten Thomas Mirow – bis Freitag soll ein Kompromiß her – werde er sich allenfalls zu „klarstellenden Formulierungen“ breitschlagen lassen. Der parteilose Senator frech: In diese verfahrene Situation habe „sich der Bürgermeister möglicherweise unbeabsichtigt selbst katapultiert“.
Hoffmann-Riem ist stinksauer. Obwohl eigentlich ein Verfechter einer grundlegenden Verwaltungsreform, hatte er den von seinem Vorgänger Hardraht geerbten Entwurf einer Bezirksverwaltungsreform lediglich leicht überarbeitet. Daß Voscherau daraufhin jetzt sein seit 1988 immer wieder versprochenes Reformprojekt auf der Zielgerade begraben will, überraschte nicht nur Hoffmann-Riem.
Schließlich fußt der jetzige Entwurf auf einer Vorlage des Bürgermeisters selbst von 1988. Eine echte Dezentralisierung, die Weitergabe von Gestaltungsmacht und Eigenverantwortung auf die Bezirke und ihre vom Bürger gewählten Organe, hatte Voscherau nie im Sinn. Sie ist auch in Hoffmann-Riems Entwurf nicht zu entdecken. Immer hatte Voscherau dafür gesorgt, daß jede Aufgabenverlagerung auf die Bezirke von einer Beschränkung der Rechte der Bezirksversammlungen begleitet wurde.
Dabei sind diese heute schon kleiner, als die meisten BürgerInnen ahnen. Anders als Berlin oder Bremen verfügt Hamburg über keine kommunale Ebene: Die Bezirke sind städtische Verwaltungseinheiten unter Kontrolle des Senats, geleitet von angestellten Bezirksamtsleitern, an deren Berufung lediglich ein ehrenamtlicher Verwaltungsbeirat, die gewählte Bezirksversammlung, mitwirkt.
Der Verwaltungsrechtler Wolfgang Thieme betont: „Hamburg ist in der Bundesrepublik das einzige Land, das keinerlei selbständige örtliche oder dezentrale Verwaltungseinheiten kennt.“ Bis heute, so Thieme, habe Hamburgs Verwaltung den Geist der „Einheitsverwaltung“ behalten, „welche die Nationalsozialisten Hamburg 1937 überstülpten“. Als 1949 sieben künstliche Bezirke entstanden, die bis auf Bergedorf und Harburg über keinerlei althergebrachte Identität verfügten, wurde das NS-Prinzip der Zentralverwaltung zementiert.
Hamburg hat denn auch keine Ministerien, sondern Behörden, die ministerielle Aufgaben und Verwaltungshandeln mischen. In Kombination mit der gegängelten Bezirksverwaltung ergibt dies eine bundesweit konkurrenzlos schwerfällige Verwaltung, was sogar in Hamburg unangenehm auffiel. Deshalb wurde 1961, 1969 und 1978 das Bezirksverwaltungsgesetz überarbeitet. Jedesmal jedoch setzten sich die Zentralbürokraten gegen die Lokaldemokraten durch, zu einer echten Reform kam es nie.
Kein Wunder, daß jeder dieser Versuche eine neue Reformdebatte nach sich zog. Als lähmend erwies sich dabei Artikel 4 der Hamburger Verfassung. Zwar erlaubt er die Bildung von „Verwaltungseinheiten für Teilgebiete, denen die selbständige Erledigung übertragener Aufgaben obliegt“, gleichzeitig aber betont er: „In Hamburg werden staatliche und gemeindliche Tätigkeit nicht getrennt.“ Zentralisten blockten so jeden Vorschlag Richtung Kommunalverwaltung mit dem Hinweis auf mögliche Verfassungsprobleme ab.
Dennoch ist sich heute die überwiegende Mehrheit von Experten, Parteien und Verbänden einig, daß Hamburg eine funktionsfähige lokale Verwaltung braucht. Nicht nur Fachleute fordern, daß eine derartige Reform mit einem drastischen Abbau der zentralen Behördenwasserköpfe verbunden sein müßte: Die Baubehörde beispielsweise könnte komplett aufgelöst, ihre bisherigen Funktionen auf die Stadtentwicklungsbehörde sowie auf die Bezirke verlagert werden.
Wolfgang Thieme ahnt, warum vorerst nichts daraus wird: „Die SPD hat in Hamburg die Rolle einer Staatsparte“. SPD-Insider sehen das ähnlich: „Sozialdemokratischer Zentralismus“, so räumen sie ein, sei ein großes Problem in Hamburg. Montagsdemos freilich sind nicht in Sicht.
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