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■ Mechtild Jansen: Die Frauenfrage ist keine Nischenangelegenheit, sondern gehört endlich ins Zentrum der GesellschaftspolitikWider die Einfalt!

Vom „Gegenschlag“ (backlash) ist nicht erst seit Erscheinen des Buches von Susan Faludi 1993 die Rede. Schon mit Antritt der Regierung Kohl vor elf Jahren, noch zu sozialdemokratischen Zeiten, wurde die Wende zu Lasten der Frauen diagnostiziert. Eine ökonomische Krise bedeutet(e) immer neue Restriktionen gegen Frauen. Und Phasen tiefen gesellschaftlichen Wandels waren und sind auch jetzt vom Versuch begleitet, erkämpften feministischen Veränderungen die Spitzen zu brechen. Die gegenwärtige Lage der Frauen ist von Gleichberechtigung und Gleichstellung weit entfernt. Zentrale gesellschaftliche (Arbeits-)Strukturen, in denen Frauenunterdrückung tief verankert ist, sind nicht verändert und wirken in der Krise automatisch gegen Frauen. Männer hingegen werden vom Veränderungsdruck entlastet.

Dennoch zeigt das Bild vom Gegenschlag unverkennbare Schwächen, ist es zu einfältig. Susan Faludi zeichnet, wie es in manchen anderen Debatten auch geschieht, ein Bild des immer gleichen Rückschlags der Männer bzw. des Patriarchats. Dabei entwirft sie ein Panoptikum vom Gegner, der „allüberall und nirgends“ ist, in „allen Gewändern und in keinem“ erscheint, „hinterhältig und geheim“, der „Öffentlichkeit verborgen“, „verschlüsselt und verinnerlicht“, doch „ohne Konzept“, bevorzugt „im Privaten aus den Frauen selbst heraus“ agiert, „miteinander verknüpft“, aber „ohne Instrumentation“ ist, bei dem „niemand die Fäden in der Hand“ hält, der „nicht erkennbar und doch höchst effektiv“ ist. So ein Gegner ist allmächtig und unfaßbar. Gegen ihn kann frau nie gewinnen. Er macht Frauen zu mehr oder weniger totalen Opfern, bei denen der Feind sich in ihrem Innersten einnistet, bis er aus ihnen selbst nach dem Gegenschlag ruft.

Diese Einschätzung wird dem tatsächlichen Wandel des Patriarchats, der Veränderung der Situation von Frauen wie auch Frauenbewegung nicht gerecht. Wenn Frauen nicht als eigenständige Subjekte gesehen werden, wird ihnen alles (einschließlich ihrer selbst) tendenziell zur Falle. In ihrer letztlichen Schlichtheit trägt diese These zur individuellen wie politischen Handlungsunfähigkeit und Selbstentmündigung bei. Die Aneinanderreihung unbestreitbar negativer Tatsachen ist noch keine ausreichende Analyse, denn es ließe sich auch leicht eine „Positivliste“ erstellen. Tatsächlich gibt es viele Überschneidungen und Interferenzen von „Fort-“ und „Rückschritten“.

Seit den achtziger Jahren hat in der bundesdeutschen Gesellschaft eine konservativ bis sozialliberale Modernisierung der Geschlechterverhältnisse bzw. der entsprechenden Partei- und Staatspolitik stattgefunden. Sie ist sehr widersprüchlich und schafft zunächst einmal andere Verhältnisse und Bedingungen. Beim § 218 äußert sich diese Modernisierung in der letztendlichen Entscheidungsfreiheit der Frau und in ihrer Vereinnahmung primär nicht mehr durch das Strafrecht, sondern durch moralischen Druck und Indoktrination. So begrenzt sie ist, zeigt sich die Modernisierung in der Gleichstellungspolitik, etwa im vergleichsweise weitreichenden „Hessischen Gleichstellungsgesetz“ oder dem niedersächsischen Entwurf. Seit neuestem fordern auch die CDU- Frauen eine Quote.

War einst weibliche Berufstätigkeit offiziell Ausnahme oder bestenfalls Nebenbeschäftigung, so läuft das heutige Modell der weiblichen Erwerbsarbeit auf im Prinzip lebenslängliche Teilzeit- bzw. „flexible“ Arbeit hinaus. Der vereinbarte „Anspruch“ auf einen Kinderbetreuungsplatz ist gerade in der auf mütterliche Familienerziehung orientierten Bundesrepublik – schon unabhängig von seinem papiernen Gehalt – ein Novum. Und immerhin ist die Rentendiskriminierung der Frauen ständiges Thema, wenngleich bis dato nur beschämende Kleinstkorrekturen vorgenommen wurden. Diskriminierung junger Frauen im Bildungsbereich ist meßbar geringer geworden. Die Sprache wurde bis zum Amtsdeutsch kritisiert und auch erneuert. Über die Gesetzespläne gegen „sexuelle Belästigungen“ gibt es den geringsten Dissens zwischen Frauen aus unterschiedlichen Parteien und in den Regierungen.

Diese Veränderungen haben eindimensionale Rollenvorschriften und geschlossene Abhängigkeiten gelöst, freilich haben sie Frauen nicht existentiell unabhängig und frei gemacht. Vor allem ist mit dieser Modernisierung der Geschlechterverhältnisse der Zusammenhang von Gleichstellung und Befreiung getrennt worden. Frau kann auch gleichgestellt unfrei sein.

Die harten Fakten der gleichzeitigen Stagnation und der Rückschläge heute haben ihre Quelle vor allem in der ökonomischen Krise, die stumm die jeweils Schwächsten am stärksten trifft. Resultat sind noch mehr Frauenerwerbslosigkeit, -armut und sinkende Einkommen. Doch diese hierarchisierenden Folgen der Krise spalten zugleich die Frauen selbst in Gewinnerinnen und Verliererinnen.

Auch die politische Rechtsentwicklung, die wachsende Gewalt und nationalistische Ausgrenzungspolitik treffen Frauen nicht nur in spezifisch scharfer Weise, sondern spalten auch die Frauen ihrerseits verstärkt in Täterinnen, Mitläuferinnen und Opfer. Sie zementieren nicht nur alte patriarchale Verhältnisse, sondern sprengen auf ihre Weise die Geschlechterverhältnisse weiter auf. Die Zahl der Propagandistinnen und Täterinnen von Gewalt und Nationalismus steigt, das autoritäre Potential mit Affinitäten zu „Ausländerfeindlichkeit“ und Rechtsextremismus unter Frauen ist beachtlich, wiewohl gleichzeitig die Gewaltdistanz bei Frauen größer als bei Männern ist.

Es gibt den „Gegenschlag“ der Männer, wie es eine Krise der Frauenbewegung gibt, und gewiß hängt beides miteinander zusammen. Nicht alles, was an Krudem oder Nachdenklichem in und aus der Frauenbewegung der letzten Jahre kam, ist Ausdruck des unbewußten patriarchalen Gegenschlages von Feministinnen selbst. Die Frauenbewegung konnte nicht bleiben, was sie in den siebziger Jahren war. Die Infragestellung von Gemeinsamkeits- und Harmoniediktat war so notwendig, wie die Alternative nicht in gnadenlosen Konkurrenzkämpfen unter Frauen liegen kann! Postfeminismus als Modeerscheinung ist zu unterscheiden von der Antiquiertheit bestimmter Einschätzungen, die zu Dogmen gerannen.

Der Vorstoß in die Mitte der Gesellschaft war so erstrebenswert, wie Frauen es nicht bei einer Anpassung an die dort vorgefundenen Verhältnisse bewenden lassen können. Institutionalisierung von Gleichstellungspolitik ist nicht deshalb falsch, weil sie möglicherweise neue Bürokratisierungen entfacht. Die oft (selbst)quälende Auseinandersetzung mit der Verinnerlichung von Herrschaft ist notwendiges Durchgangsstadium, nachdem der Sturm gegen äußere Grenzen erfolgte. Die Kehrseiten des eigenen Weges machen diesen nicht obsolet, werfen aber dennoch die Frage nach Weiterentwicklung auf. Die eigenen blinden Stellen – z.B. gegenüber den die Geschlechterstrukturen kreuzenden sozialen und ethnischen Strukturen – bilden Einfallstore für „Gegner“ und müssen selbstkritisch reflektiert werden.

Der Idealismus und Absolutismus eines Politikverständnisses aus der Geburtsstunde der Frauenbewegung muß nicht für die Zeit von morgen angemessen sein, die vielleicht mehr konkreten Pragmatismus und Verhandlungsfähigkeit verlangt. Jammern und Nostalgie im Angesicht der deutschen Einheit sind mitverantwortlich für die Verkehrsfreiheit von „Gegenschlägern“. Dieser Wandel wäre zu analysieren und zu begreifen. Von da wäre Politik in einer veränderten Welt neu zu bestimmen.

Hat die Frauenbewegung eigentlich diskutiert, was das Ende des Kalten Krieges für sie bedeutet?! Feminismus war immer Bewegung der Mittelschichten. Nun steht nationale und internationale Verallgemeinerung an. Die sogenannte „Frauenfrage“ ist in der Tat eine gesellschaftliche und allgemeinpolitische. Von der Frauenbewegung ist nicht mehr Extra- bzw. Nischen-, sondern Gesellschaftspolitik verlangt. In dieser Situation ein Frauenstreiktag – das ist Suche nach neuer Politikfähigkeit.

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