Who's afraid of shopping?

■ „Why do you shop?“ lesen das indizierte „Mein erstes Shopping Buch“

Judith Wilske und André Erlen sind „Why do you shop?“. Seit über einem Jahr touren sie durch Fußgängezonen und verkaufen aus einem silbernen Caravan die Frage „Why do you shop?“. Aufsehen erregten sie in diesem Jahr mit „Mein erstes Shopping Buch“ für Kinder ab drei Jahren. Anfang des Monats setzte die Bundesprüfstelle das Buch auf den Index für jugendgefährdende Schriften, weil es „sozialethisch desorientierend“ sei. Heute Abend (20.30 Uhr) lesen die Autoren im Extra-Markt Steintor aus dem umstrittenen Buch (Eintritt erst ab 18 Jahre oder in Begleitung Erziehungsberechtigter).

taz: Welche Vorkehrungen haben Sie für die Lesung getroffen?

Judith Wilske: Da wir dafür Sorge tragen müssen, dass das Buch nicht in die Hände von Kindern gerät, haben wir die Lesung ab 18 Jahren angekündigt. Das ist natürlich schade, weil wir ja sagen: Es ist ein Buch für Kinder. Wir kommen nun schlechter an die heran, für die das Buch bestimmt ist.

Werden Ausweise kontrolliert?

Ja, sonst machen wir uns strafbar. Wir können nicht riskieren, dass uns die Präsentation ganz verboten wird.

Was ist eigentlich die Idee hinter „Why do you shop“?

Ganz einfach: Wir kümmern uns um das Thema „Shoppen“. Wir sind das erste Unternehmen, das mit einer Frage arbeitet. Wir interessieren uns nicht für Slogans oder Meinungen, sondern wir verkaufen die Frage „Why do you shop?“ Diese Frage ist auch eine eingetragene Marke. Das Buch ist eines der Produkte, die wir unter dieser Marke produziert haben.

Sie sehen sich also als Unternehmen, nicht als Künstler oder Theatergruppe?

Nein, Why do you shop? ist ein Unternehmen, und unser Ziel ist es, die Frage unters Volk zu bringen.

Kann man Fragen verkaufen?

Ja, natürlich. Viele Menschen nehmen die Frage einfach so mit, im Vorbeigehen. Es gibt aber auch spezielle Produkte. Zum Beispiel den Entscheidungsassistenten: Ein Würfel für unentschlossene Einkäufer mit Optionen wie „Buy it“, „Wait“ oder „Steal“. Spannend sind die Reaktionen der Verkäufer, wenn man ihn auspackt. Viele sind sehr perplex und meist ergibt sich ein Gespräch – übers Shoppen.

Und wenn „Steal“ oben liegt?

Ich habe noch von niemand gehört, der tatsächlich gestohlen hat. Wir haben Stehlen deswegen dabei, weil wir der Überzeugung sind: Wenn man nicht bereit ist, etwas zu stehlen, warum sollte man es dann überhaupt kaufen? Dann kann man es eigentlich gleich sein lassen.

Wer beantwortet die Frage eigentlich? Leisten Sie das auch?

Nein, um Gottes Willen. Wir stellen nur die Frage, die Antwort bleibt jedem selbst überlassen. Häufig beantworten die Leute die Frage erstmal negativ. Die stehen mit Taschen vollbepackt in unserem Wagen und wollen wissen, was die Frage soll, sie würden doch nicht shoppen. Sie würden nur das kaufen, was sie brauchen.

Hat die Firma ein Interesse, außer Gewinn zu machen?

Wir sind dazu da, dass wir die Frage stellen: Why do you shop? Denn bisher wurden keine Fragen verkauft. Das ist unser Unternehmensziel. Beim Verkaufen geht es ja darum, etwas Neues anzubieten. Wir konzentrieren uns auf den Akt des Shoppens an sich. Bei uns gibt es nichts, was den Kunden vom Shoppen ablenken kann. Keine großen Erlebniswelten. Bei uns geht es nur um die Frage: „Why – do – you – shop?

Ist Why do you shop? nur eine weitere angesagte Marke?

Das wäre toll. Leider ist es nicht ganz so. Das Buch wurde indiziert, obwohl die inzwischen vergriffene erste Auflage bei gerade mal 2.000 Exemplaren lag. Wir reden hier nicht über Harry Potter oder so was.

Nehmen die Kinder das Buch eigentlich wörtlich? Fangen sie an ihre Eltern zu erpressen?

Wie kommen Sie auf erpressen?

Im Buch steht doch „Wenn ich nicht mehr Taschengeld bekomme, muss ich stehlen gehen.“

So steht das da nicht. Wir wollen Kindern Argumente zu geben, wie sie mehr Taschengeld kriegen. Mit Erpressung hat das nichts zu tun. Es ist eine Argumentationshilfe.

Nutzen Kinder die?

Bei uns im Caravan sagte ein Mädchen zu seiner Mutter: Lass uns darüber reden, wenn ich nächstes Mal nicht das neue Sweat-Shirt kriege, aber du mit einer neuen Bluse kommst. Ich fand das einen sehr spannenden Punkt. Das Mädchen hat den Zusammenhang des Buches in seiner Situation angewendet. Aber das Buch ist keine Lebenshilfe, es geht nur um Shoppen. Es ist eine Orientierungshilfe für Kinder beim Einkaufen, wie Werbung: Mit Werbung informieren Unternehmen über ihre Produkte. Auch wenn Deine Eltern sagen: Schau nicht so viel Werbung, solltest du sie dir anschauen. Nur, wenn du selbst die Werbung siehst, kannst du dir eine Meinung bilden.

Zielt das Buch wirklich auf Kinder oder eher auf Erwachsene?

Es richtet sich an alle Käufer ab drei Jahren und ist in diesem Sinne ein schönes Familienbuch.

Die primäre Zielgruppe kann es ja nicht mehr erreichen. Oder gibt es da irgendeinen Trick?

Nein, wir haben es auch aus dem Internet rausgenommen. Zur Zeit sind aber verschiedene Übersetzungen in Arbeit. Und wir haben gegen die Indizierung geklagt. Wenn das Buch auf dem Index bleibt, müssen sich einige Unternehmen warm anziehen. Dann müsste eigentlich jeder Werbespot verboten werden, in dem Kinder ein Wort sagen. Die Leute regen sich über unser Buch auf, aber in einem Werbespot sagen Kinder ihrem Vater mit ihrem Handy, welche Schokolade er mitbringen soll – da wird suggeriert, nur mit dem richtigen Handy lasse sich eine harmonische Beziehung mit den Eltern aufbauen. Wenn das nicht sozialethisch desorientierend ist, dann weiß ich auch nicht.

Aber propagiert „Mein erstes Shopping Buch“ nicht auch, dass Kinder nicht locker lassen sollen, bis sie das beste Produkt haben?

Klar, viele sagen auch, Kinder lernen aus dem Buch nichts, was sie nicht ohnehin schon aus der Werbung wüssten. Der Unterschied ist: Werbung darf das. Aber eine Orientierungshilfe, wie man mit so was umgeht, darf den Kindern nicht frei zugänglich gemacht werden.

Was ist das für ein Gefühl, neben Nazis und Pornografen auf dem Index zu stehen?

Es ist das erste Mal, dass Shoppen indiziert wurde. Da zeigt sich eine Doppelmoral: Jeder shoppt, aber man darf es nicht laut aussprechen und schon gar nicht für Kinder. Die sollen in der Idee aufwachsen, dass es draußen eine heile Welt gibt. Im Zweifel werden Kinder auch ganz von alleine reif zum Kaufen. Mit der Indizierung will man sicherstellen, dass das weiter so passiert. Fragen: Jan Kahlcke