: Whiskyflaschen nach Rotterdam und zurück
■ Die größte Hafenstadt der Welt wurde 650, und die Commerzbank wollte ihr Image polieren
Von der Schiene Michael Bullard
Zu den verhaltenen Rythmen des Bordorchesters wiegen sich elegante Damen und Herren im Tangoschritt. Gedämpftes Licht verschönt die prachtvolle Gesellschaft. Wertvolle Diamantencolliers glitzern an tiefen Decolletes; namhafter Champagner wird gereicht. Leise Grollen die Räder, hin und wieder schwankt der Boden. Willkommen im Commerzbank-Express auf dem Weg von Brüssel nach Rotterdam. 650 Jahre alt ist die größte Hafenstadt der Welt heuer geworden. Und weil sie neben Hamburg der zweitwichtigste Umschlagplatz für deutsche Güter und damit wichtiges Aktionsfeld für deutsche Geldhäuser ist, hatte sich die Commerzbank ein besonderes Geburtstagsgeschenk ausgedacht: Zwei Züge voller JournalistInnen - der eine aus Brüssel, der andere aus Amsterdam - sollten helfen, das Image der Stadt aufzumöbeln.
Wer allerdings auch die animierte Stimmung einer Kreuzfahrt erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Die JournalistInnen waren in erster Linie gekommen, um die diversen Geschenke abzuzocken und sich mit Alkoholika aller Art vollzudröhnen angesichts des öden Festplatzes in Rotterdam ist das auch kein Wunder. Was ursprünglich das Woodstock der 90er Jahre werden sollte, ein Festival der Superlative, war zu einem Jahrmarkt ohne Besucher verkommen - so traurig anzuschauen wie die Stadt selbst, deren „Herz“, wie die Rotterdamer sagen, zu Beginn des Krieges in nur acht Minuten von der deutschen Luftwaffe zerstört worden war. Heute bestimmt moderne Betonarchitektur das Bild der gewaltigen Hafen- und Industriestadt.
Ein Rest des Charmes vergangener Jahrzehnte besteht noch mitten im Hafengebiet. Das Arbeiterdorf Heyplaat, vor knapp hundert Jahren gebaut, war vom Bombardement verschont geblieben. Doch ausgerechnet dieses Idyll soll jetzt dem Ausbau des Hafens weichen. Was die Deutschen nicht schafften, wollen die Holländer nun selbst erledigen - und zwar im Namen des Umweltschutzes. Im Hafen sei es zu laut und zu dreckig, als daß dort noch gewohnt werden dürfte. Für die Dorfbewohner, die seit vier Monaten vor dem vom Bombenangriff ebenfalls verschonten Rathaus demonstrieren ein fadenscheiniges Argument: Wolle man es ernst nehmen, müsse die ganze Stadt geräumt werden. Schließlich mache der Lärm sowie die exorbitante Wasser- und Luftverschmutzung nicht an den Toren des Hafens halt. Und schließlich macht der Bürgermeister noch darauf aufmerksam, daß die zusätzliche Hafenfläche gebraucht werde, um im Osteuropa -Geschäft mithalten zu können.
Doch die Reisegesellschaft kümmmert das nicht. Während der Sonderzug sich wackelnd und schaukelnd auf die Heimreise begibt, beschäftigt man sich wieder mit sich selbst. Im Kreise kleiner Whiskyflaschen werden Anlagemöglichkeiten im Gefolge deutsch-deutscher Einheit erörtert und Kontakte geknüpft. Bis zum nächsten Mal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen