Wetter und Wirtschaft: Winter? Welcher Winter?
Ob Bauwirtschaft oder Gastronomie, die lang anhaltende Kälte macht vielen Branchen zu schaffen. Aber von einer Krise will kaum jemand reden.
BERLIN taz | Droht der lange Winter die deutsche Wirtschaft zu beeinträchtigen? Das meint zumindest der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Auf 2 Milliarden Euro bezifferte Anfang der Woche der Chefvolkswirt des Kammertages, Alexander Schumann, den Schaden. Damit könne sich der erwartete Wirtschaftsaufschwung verzögern und das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal stagnieren. Doch Nachfragen der taz zeigen: In einer echten Krise sehen sich die wenigsten Branchen.
„Viele Baustellen liegen lahm“, berichtet ein Sprecher der deutschen Bauindustrie, „frostige Böden blockieren vor allem den Tiefbau“. Im Vergleich zum Vorjahr seien die Umsätze der Branche um 10 Prozent gesunken, im Straßenbau sogar um knapp 20 Prozent. Verantwortlich dafür sei nicht eine schwache Konjunktur, sondern die Witterung. Die Auftragslage sei zwar „sehr gut“, jedoch sei die Branche vom Wetter abhängig, worunter die Liquidität vieler Unternehmen leide.
Auch die Bauern werden langsam unruhig, weil viele Äcker noch unter einer Schneedecke liegen. „Viele Arbeitsabläufe wie Bodenbearbeitung, Düngung und Säarbeiten kommen durcheinander“, erzählt Johannes Funke vom Deutschen Bauernverband. „Sobald es wärmer wird, ballen sich dann die Aufgaben.“
Insgesamt stabil
Problematisch ist das kalte Wetter auch für den Textileinzelhandel. Die Branche hat in zehn von zwölf Frühjahrswochen einen Umsatzrückgang erlitten. „Das kann nur schwer eingeholt werden“, sagt Axel Augustin vom Branchenverband des Modefachhandels. Die Hoffnung auf ein starkes Ostergeschäft schwinde mehr und mehr: „Viele potenzielle Käufer sind schon im Süden.“
In der Außengastronomie habe es in diesem Frühjahr noch keine nennenswerten Umsätze gegeben, sagt Ingrid Hartges vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Ursache hierfür sei das kalte Wetter.
Die Terrassen, Gärten und Balkone werden in diesem Jahr auch später eingerichtet als gewöhnlich. „Die Outdoor-Saison muss noch warten“, meint Kai Falk vom Handelsverband Deutschland. Der fortdauernde Winter führt dazu, dass Frühjahrsblüher wie Primeln oder Narzissen weniger verkauft werden. „Das Geschäft läuft schleppender als gewöhnlich“, sagt Claudia Zapolska vom Zentralverband Gartenbau. Hoffnung schöpft die Branche durch das herannahende Osterfest. „Wir sind zuversichtlich, dass es nur eine Verzögerung gibt und Umsatzeinbußen wettgemacht werden können“, sagt Zapolska.
Auch der Verband der Deutschen Bauindustrie glaubt, dass – zumindest im Hochbau – aufgeholt werden kann, was sich jetzt verzögert. Ferdinand Fichtner, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, sieht keinen Grund zur Sorge: „Manche Branchen leiden unter dem langen Winter, andere profitieren, doch die Gesamtwirtschaft bleibt stabil.“
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