piwik no script img

Westernfilm „Brimstone“Misogyner Mist

In seinem Film „Brimstone“ treibt Martin Koolhoven das Patriarchat ins sadistische Extrem. Dabei schafft er es aber nie auf eine analytische Ebene.

Dakota Fanning mit Waffe Foto: Koch

Nordamerika zu Zeiten der Besiedlung des Wilden Westens durch europäische Siedler: Liz, eine junge Hebamme, lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in einer Kleinstadt. Liz selber ist stumm und verständigt sich mit Gebärdensprache, die ihre kleine Tochter wenn nötig übersetzt. Als die Gemeinde einen neuen Pfarrer bekommt, kriegt sie – für ihren Mann unverständlich – Angstzustände. Als dann noch eine Geburt tragisch verläuft und Liz sich zwischen dem Leben der Mutter und dem des Kindes entscheiden muss, wird die Lage für Liz so bedrohlich, dass sie ihren Mann anfleht, mit ihr aus der Kleinstadt wegzugehen. Dazu kommt es nicht.

Ein junges Mädchen irrt im Nachthemd durch die Steppe und wird von einem Wagen aufgelesen. In der nächsten Stadt wird sie an ein Bordell verkauft und wird in die Prostitution gezwungen. Die junge Joanna wiederum lebt mit ihrem gewalttätigen Vater und ihrer Mutter in einer Siedlung niederländischer Siedler. Mutter und Tochter sind den Übergriffen des Vaters ausgeliefert, der als Pfarrer eine Autorität in der Siedlergemeinschaft ist.

Mit großer Systematik baut der niederländische Regisseur Martin Koolhoven in „Brim­stone“ eine Welt des ins sadistische Extrem getriebenen Patriarchats und der Rechtfertigung der Übergriffe durch protestantische Eiferer. Nicht nur ist jede Frau des Films männlichen Übergriffen ausgesetzt, auf Momente weiblicher Solidarität folgt drehbuchmechanisch unausweichlich eine Gewalttat. Diese Logik hat sich bis in die Struktur des Films eingeschrieben: Liz und Joanna sind – so viel sei verraten – ein und dieselbe Frau. Das Drehbuch, das in vier Teile gegliedert ist, von denen die ersten drei in der Chronologie zurückgehen, treibt sie wieder und wieder in die Arme sadistischer Männer. Auf jede Befreiung folgt neue Gewalt – als würde Koolhovens Drehbuch mit Joanna/Liz spielen wie eine Katze mit einer gefangenen Maus.

Hat Koolhoven einfach Spaß an der Gewalt gegenüber seinen weiblichen Rollen gehabt?

„Brimstone“ ist ein unangenehmer Film. Nicht, weil er ein düsterer Film ist, nicht weil er patriarchale Gewalt und sexuelle Ausbeutung zeigt. Nichts davon ist schön anzusehen im Kino, das Problem des Films ist aber in erster Linie, dass er es nie auf eine analytische Ebene schafft und unklar bleibt, ob das überhaupt angedacht war. Wie eine solche strukturelle Ebene aussehen könnte, hat der Exil­iraner Sohrab Shahid Saless 1983 mit „Utopia“ gezeigt. In einem Bordell in einer Privatwohnung hält der Zuhälter eine Gruppe Frauen und zwingt sie, teils mit Gewalt, seine Regeln zu befolgen. Im Mikrokosmos des Wohnungsbordells gelingt „Utopia“ eine strukturelle Analyse patriarchaler Verhältnisse. Davon ist „Brimstone“ weit entfernt. Vielmehr vermittelt das Zusammenspiel von Drehbuch und Inszenierung bisweilen den Eindruck, Koolhoven habe einfach Spaß an der Konstruktion von ausweglosen Situationen und Gewalt gegenüber seinen weiblichen Rollen gehabt.

Das ist nicht der einzige Punkt, an dem Koolhoven dem Zuschauer die Positionierung schuldig geblieben ist, die geboten gewesen wäre. Schon die Genreentscheidung wirkt unmotiviert: In der US-Filmgeschichte ist der Western über viele Jahre eines der zentralen Genres für Debatten über das Selbstverständnis gewesen. Als der Western in den 1960er Jahren nach Europa schwappte, ­bildeten sich schnell in verschiedenen Ländern verschiedene Schwerpunkte heraus, die das importierte Genre als Artiku­lationsrahmen aufgriffen.

Der Film

„Brimstone“. Regie: Martin Koolhoven. Mit Dakota Fanning, Guy Pearce u. a. USA 2016, 148 Min.

Auch die jeweiligen Migrationsgeschichten wurden durch das Genre erzählbar: 1971 verfilmte der schwedische Regisseur Jan Troell einen Roman über schwedische Auswanderer nach Amerika. Was Kool­hoven an dem Genre des Westerns gereizt hat, bleibt unklar. Die Darstellung niederländischer Auswanderung bleibt ebenso unscharf wie der Bezug auf Elemente und Typen des klassischen Westerns im Stereotyp erstarrt bleiben.

Eindruck von Beliebigkeit

Der Eindruck von Beliebigkeit gilt auch für das Casting: Game-of-Throne-Liebling Kit Harington taucht in einer kurzen Nebenrolle auf und man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, dass hier der Auftritt eines beliebten Schauspielers in einer ziemlich egalen Nebenrolle den Film aufwerten sollte. Unklar bleibt auch, was der Mehrwert in Koolhovens Augen war, „Brimstone“ nicht einfach chronologisch zu erzählen, sondern in vier Teile zu zergliedern, die prätentiöse Titel mit religiösen Anspielungen (Revelation/Offenbarung, Exodus, Genesis und Retribution/Vergeltung) tragen.

Die freundliche Lesart von „Brimstone“ ist, dass sich Koolhoven an seinen Ansprüchen überhoben hat, die unfreundliche, dass der Film überlanger misogyner prätentiöser Mist ist – ob die Entscheidung zwischen diesen Lesarten interessant genug ist, um den Film zu gucken, entscheiden bitte alle für sich selbst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Das ist nicht der einzige Punkt, an dem Koolhoven dem Zuschauer die Positionierung schuldig geblieben ist, die geboten gewesen wäre.

     

    Herr Tietke, Sie hätten sich wohl statt eines Westerns lieber eine sozialwissenschaftliche Studie zur amerikanischen Frontier Society ansehen sollen.

     

    Ich bezweifle, dass Koolhoven in dieser Hinsicht den Zuschauern etwas schuldig bleibt, da sie solches mehrheitlich nicht erwarten. Was hier 'geboten' ist, dürfte in einer freien Gesellschaft immer umstritten sein.

  • Wenn ich den Artikel hier richtig verstehe, ist der Film eher als männerfeindlich zu betrachten, denn offenbar wird jeder Mann dort als brutaler Vergewaltiger, Sklaventreiber oder sonstiges dargestellt. Frauenfeindlich ist hier dazu, dass den weiblichen Charakteren nicht zugetraut wird, sich aus ihrem Leid selbst zu befreien, sondern sich offenbar wehrlos ihrem Schicksal ergeben.