piwik no script img

Westen bläst zum RückzugBloß raus aus Afghanistan

Der Westen macht auf der internationalen Konferenz in Kabul Druck: Afghanistan soll ab 2014 selbst für Sicherheit sorgen.

Außenminister aus 40 Ländern: Konferenz in Kabul. Bild: dpa

"Es ist der Beginn einer neuen Phase, nicht das Ende unseres Engagements", betonte US-Außenministerin Hillary Clinton feierlich. Auf der als "Meilenstein" gefeierten Konferenz am Dienstag in Kabul wurde dennoch zum geordneten Rückzug geblasen. Afghanistans Präsident Hamid Karsai verkündete, er sei entschlossen, dass das afghanische Militär und die Polizei ab 2014 selbst für die Sicherheit des Landes sorgen. Die Afghanistan-Konferenz in Kabul hat das Ziel Karsais auch gebilligt. Vor ein paar Monaten hatte er noch betont, er hoffe, die westlichen Truppen blieben noch Jahrzehnte im Lande.

Außenminister aus 40 Ländern, andere wichtige politische Repräsentanten wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen waren nach Kabul gereist, um über Afghanistans Zukunft zu beraten. Das Datum für die Übertragung der Verantwortung auf die afghanische Regierung ist in den vergangenen Monaten immer weiter nach vorne gerutscht. Die Bekanntgabe eines neuen Zeitplans für die rasche Übergabe war daher die wichtigste Aufgabe der hochkarätigen Versammlung. Der seit fast neun Jahren dauernde Krieg am Hindukusch verschlingt täglich Millionen US-Dollar.

Auch die Konferenzteilnehmer in Kabul selbst schienen in Eile: Wegen der prekären Sicherheitslage und um das Risiko so gering wie möglich zu halten, waren nur sieben Stunden für das gesamte Treffen angesetzt. Weil Angriffe der aufständischen Taliban auf die Versammlung erwartet wurden, waren die meisten Diplomaten erst in den frühen Morgenstunden eingeflogen worden, während die Stadt und der Flughafen komplett abgesperrt waren. Ein Raketenangriff der Taliban auf den Flughafen gegen ein Uhr nachts richtete kaum Schaden an. Einige Flugzeuge mit Konferenzteilnehmern wurden danach jedoch auf den nahe gelegenen US-Luftwaffenstützpunkt Bagram umgeleitet.

"Wir stehen einem gemeinsamen, bösartigen Feind gegenüber", beschwor Afghanistans Präsident Karsai die Zusammenarbeit zwischen seinem Land und dem Westen. Zwar verlangte der Regierungschef diesmal nicht mehr Geld vom Westen, sondern erklärte, die Mittel reichten "für die kommenden drei Jahre" aus. Er forderte aber, dass 50 Prozent der Hilfsgelder in Milliardenhöhe vom afghanischen Staat und nicht den internationalen Organisationen verteilt würden. Bislang werden nur etwa 20 Prozent der Unterstützung des Westens durch die afghanische Regierung verwaltet. In der Abschlusserklärung versicherten die Teilnehmer der Konferenz, dass Karsais Regierung diese 50 Prozent verantwortlich erhalten solle. Als Bedingung dafür werden Reformen im Finanzsektor und eine wirksame Korruptionsbekämpfung genannt.

Das Land mit rund 29 Millionen Einwohnern gilt als eines der ärmsten und korruptesten der Welt. Berichte über die Veruntreuung von Hilfsgeldern in Milliardenhöhe erschüttern regelmäßig das Vertrauen des Westens in die Regierung in Kabul. Der US-Kongress legte gerade ein 4 Milliarden US-Dollar schweres Hilfspaket auf Eis. Auch die Europäische Union setzte ihre Unterstützungsleistung in Höhe von 200 Millionen Euro pro Jahr aus, um zunächst die Ergebnisse der Kabul-Konferenz abzuwarten. Das Land hat seit 2001 um die 36 Milliarden US-Dollar an internationaler Hilfe erhalten.

Karsai gestand ein, dass es dem Lande noch an guter Regierungsführung fehle, er versprach jedoch Besserung. Gleichzeitig suchte er Mittel und Unterstützung für seinen Plan, 36.000 Talibankämpfer mit Geld davon zu überzeugen, dem bewaffneten Kampf abzuschwören.

Nato-Generalsekretär Rasmussen bezeichnete die Konferenz als "sehr positiv" und meinte: "Wir sind auf dem richtigen Weg." Es sei gut, dass nun ein Zeitplan stehe. Dieser Plan sei "unrealistisch", sagte hingegen Ali Seraj, ein politischer Analyst in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien nicht stark genug.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

5 Kommentare

 / 
  • H
    Hilfeschrei

    Das Traurige an Afghanistan, es ist ein offenes Geheimnis, dass der Westen sich mit den kapitalaffinen Stämmen des Nordens verbündet hat und die ISAF als deren Handlanger die ethnische Säuberung von Pashtounen aus dem Norden vorantreibt.

    Dabei wird die ISAF teilweise von den nordafghanischen Militärs/Milizen unter Vorspiegelung falscher Verdächtigungen und Denunziantentum bewusst in die Irre geführt, indem bewusst falsche Fährten gelegt werden, um die dort ansässigen pashtounischen Minderheiten mit Taliban und Al Qaida in Verbindung zu bringen. Indem man die Pashtounen immer mehr ins Visier der ISAF rückt, soll durch Emittlungsschikanen, Verhaftungen und Bombardements eine Dezimiierung und Vertreibung erwirkt werden. Dass die Pashtounen im Süden, Osten und teilweise auch Westen seit 9 Jahren Gegenstand von massiven zivilen Verlusten sind, dürfte sowieso nicht mehr überraschen.

     

    Wir müssen endlich aufhören diesen Quasi-Völkermord zu unterstützen und uns and den Racheaktionen der Nordafghanen zu beteiligen, die mit ihrer Unterdrückung durch das Talibanregime zu begründen sind und uns aus den inneren Angelenheiten Afghanistan heraushalten.

     

    Mit jeder Minute, in der wir zögern, vergrößern wir die Not dieses Volkes.

  • V
    vic

    Vergessen wir`s.

    Beschlüsse, die vier Jahre später greifen sollen, wurden noch nie umgesetzt.

  • V
    vic

    Da sitzen sie nun, die Außenminister aus 40 Ländern und andere wichtige politische Repräsentanten wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, und beraten über die Zukunft eines Landes, das sie 9 Jahre misshandelt haben, und das sie im Grunde einen Scheiß angeht.

    Raus ja, und btte schnell.

  • B
    Beobachter

    Was von Beginn an alle Experten und Kenner der Region und Geschichte Afghanistans vorher gesagt haben, tritt nun immer mehr ein: ein blutiges, desaströses und kostspieliges Fiasko ist dieser Afghanistankrieg, jetzt, wo tausende NATO-Soldaten getötet oder verstümmelt sind, wo zehntausende Zivilisten umgekommen sind auf afghanischer Seite (die natürlich keine Erwähnung in unseren sich selbst stets beweihräucherndern Machtzentralen finden der kriegführenden westlichen NATO-Staaten) will man eher heute als morgen raus.

     

    Selbstkritik an diesem sinnlosen Langzeitkrieg, der auf höchst zweifelhaften Begründungen basierte (angeblich um ObL zu finden) wird man in unserem salbadernden "demokratischen" Medienzirkus nur wenig finden, in den Kreisen der verantwortlichen Kriegsanzettler mit Sicherheit garnicht.

     

    Es ist, war und bleibt ein Irrglaube, dass man Terrorimus, der immer politische Ursachen hat, mit Armee beenden kann. Diese simple Einsicht fehlt aber unseren sog. Eliten, die vor allen Dingen durch Unwissenheit und Inkompetenz in diesen Krieg marschiert sind in transatlantischem Kadavergehorsam!

     

    Gegen die 1 Billion US-Dollar, die die Amis allein in die erfolglose kriegerische Bekämpfung der Taliban seit 2001 gesteckt haben sind übrigens die 36 Milliärdchen gerade zu lächerlich wenig.

     

    Nur die westliche Kriegsindustrie hat sich die Taschen voll gemacht und reibt sich die Hände ob der Riesengewinne, die man gemacht hat.

     

    Das Ende vom Lied wird sein, dass die westliche Marionette Karsai ein Bürgermeister von Kabul bleiben wird, was seine politische Reichweite betrifft und die Taliban (und andere Kriegerkasten) das Land am Hindukusch wieder regieren werden. Warum sollte es der NATO anders ergangen sein als der einstmals mächtigen UDSSR, die mit viel mehr Soldaten zehn Jahre das gleiche probierte, nämlich die Afghanen zu unterwerfen!

  • P
    pekerst

    "Afghanistan soll ab 2014 selbst für Sicherheit sorgen." Wirklich schön: Afghanistan soll in Afghanistan für Sicherheit sorgen.