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Werner Schroeter über den Film "Diese Nacht""Weil ich ja diese Extravaganz bin"

Sie hat mir den Bierseidel auf den Kopf geschlagen, erzählt Werner Schroeter - ein Gespräch über den Mordversuch einer Schauspielerin, seinen Hass auf die digitale Kultur und den Sieg über die Todesangst.

Wim Wenders (l) überreicht auf dem Filmfestival in Venedig 2008 dem Regisseuer Werner Schroeter (r) einen Spezial-Löwen für sein Gesamtwerk. Bild: dpa
Interview von Stefan Grissemann

taz: Herr Schroeter, "Diese Nacht" ist ein betont finsteres Werk. Wie kamen Sie an den Stoff?

Werner Schroeter: Eigentlich hatte ich ja meinen Lieblingsroman adaptieren wollen, James Baldwins "Giovannis Room", nur weniger steril und sauber geputzt als "Brokeback Mountain". Die Baldwin-Adaption blieb aber unfinanzierbar. Dann schlug man mir den Autor Juan Carlos Onetti aus Uruguay vor - und ich hatte ja viel zu tun mit Südamerika.

Sie schreiben, Sie hätten mit Ihrem neuen Film "utopische Formen" konstruiert. Wo steckt in dieser ultrapessimistischen Erzählung denn die Utopie?

Bild: dpa
Im Interview: 

Werner Schroeter, geboren 1945 im thüringischen Georgenthal, aufgewachsen in Bielefeld und Heidelberg, ließ sich bereits im Kindesalter von Kino und Oper infizieren. Seit Mitte der Sechzigerjahre arbeitet Schroeter an seinem Werk. Es umfasst bislang an die 20 Langfilme und ebenso viele kurze bis mittellange Kinoarbeiten sowie mehr als 70 Opern- und Theaterinszenierungen. Zu den Hauptwerken Schroeters zählen das virtuose kalifornische Frauenmelo "Willow Springs" (1972) und "Der Rosenkönig" (1984-86). Trotz seiner schweren Krebserkrankung geht Schroeter dieser Tage mit seinem neuen Film, dem ersten seit 2002, auf Deutschlandtournee und steht für Publikumsgespräche zur Verfügung. Am 7. April wird Werner Schroeter, einer der letzten großen Melodramatiker des europäischen Kinos, 64 Jahre alt.

Diese Nacht

Auch das hohe Drama der großen Emotion kann, wenn man es nur radikal genug ausstellt, politische Wirkung erzielen: Werner Schroeter führt dies mit seinem absichtsvoll elitären, hochstilisierten neuen Film "Diese Nacht" (im französischen Original: "Nuit de chien") vor, der bei seiner Premiere im Programm der Filmfestspiele Venedig im vergangenen September noch den Unmut des kleinbürgerlichen, vergnügungssüchtigen Festivalpublikums erregte. Schroeters apokalyptisches Werk, eine mit Pascal Greggory, Bulle Ogier und Amira Casar prominent besetzte Liebes- und Todeselegie, trägt sich im hermetischen Studioraum einer Fantasie-Militärdiktatur zu: kompromisslose Sehnsuchtskinomalerei aus ungemischten Farben, tragischen Orchesterklängen und präzise choreografierten Körpern. Schroeter bleibt damit seinem Personalstil und Themenrepertoire treu: Die Absurdität faschistischer Dekadenz hatte er schonin seinem frühen Film "Der Bomberpilot" (1970) thematisiert, die gewagte Mischung aus Pop und Hochkultur, aus Trivialem und Kostbarem gilt seither als Schroeters Domäne. STEFAN GRISSEMANN

"Diese Nacht". Regie: Werner Schroeter. Mit Pascal Greggory, Amira Casar, Bulle Ogier u. a. Frankreich/Deutschland/Portugal 2008, 118 Minuten

Im Tod. In der Freiheit, den Tod zu wählen. Die Schönheit des Films liegt darin, dass ich dies in aller Grandezza umsetze - und nicht so fadenscheinig als Krümelkuchen serviere wie viele meiner Landsleute derzeit. Dieses psychologische Fitzeln - und dann hat Oma vielleicht noch mal einen Orgasmus. Nein, das ist eine andere Welt. Mein ganzes Leben ist eine Utopie, weil ich immer in der Hoffnung lebe. Ich denke positiv, daher überlebe ich ja bislang auch meine Krankheit, erstaunlicherweise. Mit ungeheurer Energie hab ich neun Wochen lang in Porto gedreht: allnächtlich von 18 Uhr abends bis morgens um sechs. Ein Kraftaufwand enormer Art. Ich liefere mich fatalistisch Situationen aus, bin aber nicht nachgiebig, nicht mit mir und nicht mit anderen. Deshalb gelingt das auch: dass man Todesangst besiegen kann. Sie ist nicht Bestandteil meiner Welt. Ich weiß gar nicht, wann sie mich verlassen hat.

Dietrich Kuhlbrodt hat bereits 1980 über Sie geschrieben, dass Sie "das Sterben als mysteriöse Lust" feierten. In "Diese Nacht" malen Sie nun tatsächlich eine Todesgesellschaft an die Wand.

Ja, aber eine, die von Liebe und Zuneigung getragen ist. "Diese Nacht" war eine ungeheuer produktive, kokreative Arbeit. Das liegt auch an meiner Hinwendung zum Französischen. Ich befreie die Schauspieler von ihrem Akademismus, der im französischen Darstellungsstil leider noch vorhanden ist. Ich gebe der Sprache mehr Volumen, eine größere Sinnlichkeit.

"Diese Nacht" changiert zwischen Apokalypse und Sarkasmus. Wie spaßig ist Ihr Film denn gemeint?

Ich finde, die Balance ist ganz gut gefunden. Manche Szenen haben durchaus ihren trivialkomischen Reiz.

Diese Balance ist aber delikat. Man ist nie ganz sicher, wo das Melodram ins Tragikomische kippt.

Man soll ja auch nicht sicher sein. Sicherheit ist langweilig. Glücklicherweise habe ich diesen wahnsinnigen Piratenproduzenten Paulo Branco, der von mir als Künstler überzeugt ist - in voller Kenntnis der Schwierigkeiten, die solche Filme auslösen. Paulo meinte einmal, ein Tag ohne Risiko sei ein verlorener Tag. Ich stimmte rückhaltlos zu.

Ist es wahr, dass eine Ihrer Schauspielerinnen der frühen Jahre, Carla Aulaulu, einst einen Mordversuch an Ihnen verübte?

Ja, ja. Versehentlich. Das war mehr ein Totschlagversuch. Sie hat mir ein Bierseidel auf den Kopf geschlagen, aus dummer Eifersucht - und mir einen Schädelbasisbruch zugefügt.

Wieso war sie eifersüchtig?

Die dachte, ich sei auf ihren Angebeteten scharf. Dabei wollte der gar nichts von mir. Und ich wollte nichts von ihm.

Ihre weitere Zusammenarbeit hat das nicht behindert. Da sind Sie nicht nachtragend.

Überhaupt nicht. Erst hat sie mein Freund Rosa von Praunheim, ihr damaliger Ehemann, so verprügelt, dass sie aussah wie ein Kaktus. Dann haben wir weitergearbeitet. Carla ist eine sehr fantasievolle Person, die aber vor 35 Jahren schon verrückt geworden ist, das muss man leider sagen.

Früh wurden Sie von der Musik geprägt: vor allem von Caterina Valente und Maria Callas. Bedeuten Ihnen die beiden heute noch so viel wie einst?

Callas ist mein Leitstern, immer und immer und immer. Das ist die Person, von der ich alles gelernt habe. Alles. Jede Phrasierung von ihr ist ein Gebäude aus Zeit und Raum. Eine Platte von ihr hab ich immer dabei: Verdis "Macbeth". Das ist wie die "Pietà" von Michelangelo: gemeißelter Raum, gemeißelte Zeit. Das ist genial. Für mich war Callas wie eine Botin zwischen Gott und Mensch. Sie war una messaggera - tief melancholisch, aber auch mit viel Humor. Callas ist die wichtigste Person in der Kunst für mich.

Und Valente?

Die hab ich jetzt vergessen, das muss nicht mehr sein. Obgleich ich von Zeit zu Zeit wieder aufgelegte Sachen höre wie ihre Jazzeinspielungen mit Chet Baker. Nein, eigentlich finde ich auch Valente sehr ingeniös. Gut, die muss jetzt auch bald 80 sein. Bei der "Malina"-Premiere in Berlin vor 18 Jahren sang sie für mich ein Medley mit ihrer Band. Das war süß.

Ein Schroeter-Zitat: "In der bürgerlichen materialistischen Gesellschaft gibt es nur zwei Positionen, die eine Art von Freiheit haben - die des Verbrechers und die des Künstlers."

Ja. Klar. Zwei kreative Positionen.

Mit dem Unterschied allerdings, dass der Künstler die Gesellschaft nicht beschädigt.

Mitunter schade, nicht? Wenn Sie sagen, mein neuer Film scheint ein Moment der Provokation zu enthalten … Kinder, nein, also, dann muss man noch mehr aufn Putz hauen!

Die Provokation dieses Films ist seine Reinheit.

La pureté, genau. Das trifft auch auf die völlig zu Unrecht übel beleumundete Schauspielerin Amira Casar zu. Sie hat in ihrer Konsequenz so eine Klarheit im Gesicht: das ist pureté in extremis. Und dann reden die Leute schlecht über sie, weil sie extravagant sei - das ist so dumm! Sie ist großartig, aber anstrengend, weil sie tausend Ideen hat und rumhopst und einfach ein lebender Mensch ist.

Sie haben kein Problem mit divenhaften Schauspielern?

Ach, ich hab doch mit Schauspielern kein Problem! Ich kriege Liebesbriefe von denen.

Bei Ihnen ist alles immer harmonisch am Drehort?

Ja. Wenn jemand laut wird, gehe ich. Dann können sie den Film alleine zu Ende drehen. Passiert auch nicht. Nie.

Ihre Filme entstehen also in einer Atmosphäre …

… der größten Harmonie. Sonst kann man nicht weit gehen. Das ist die Antiposition zu jener meines Freundes Fassbinder, der meinte, nur aus dem Chaos entstehe etwas. Chaos ist gut, aber es muss ein harmonisches Chaos sein, in dem man Dinge, Bilder und Gedanken abrufen kann. Aus einem brüllenden, hysterischen Chaos kann man nichts abrufen.

Es geht nicht um Konfrontation, sondern um Zusammenspiel.

Die Schöpfung verlangt auch etwas Ruhe, eine Stille, aus der etwas entsteht. Auch Stille kann chaotisch sein.

Sind Ihre Filme schwer zu finanzieren?

Alles ist schwer zu finanzieren für mich. Weil ich ja diese Extravaganz bin. Das wissen Sie doch, das ist wohl nur eine rhetorische Frage. Es ist extrem schwer. In Deutschland ist meine Verweigerung der deutschen Sprache etwa ein Punkt.

Sie würden keinen Film mehr in deutscher Sprache drehen?

Nö. Ich hab die Nase voll von Deutschland. Ich hab mich seither intensiv auf Italien eingelassen, auf Mexiko und Argentinien. Das sind ja immer auch Eroberungen. Ich habe keine Lust zur Rückkehr. Warum denn?

Sie sehen die Kunst, wie Sie einst sagten, "als soziale Einrichtung - wie im alten Griechenland".

So ist es. Ohne Kunst ist das Leben Barbarei. Das sehen Sie ja an der Computer- und Handy-Unkultur. Der Mensch muss keine Anstrengung mehr machen, sich etwas zu erobern. Man googelt es - das ist eine Entfremdung vom anderen: wirklich kunstfeindlich. Schmerz und Suche gehören zur Kultur, nicht bloß tapp, tapp, tapp! Dabei ist die Kunst so wichtig, auch die Ars amandi und das Kochen! Es macht mich rasend, wenn schlecht gekocht wird! Die Lebensqualität, die Lebenslust, die Rituale gehen unter; das ist ein Verlust an Kultur, der den Menschen noch mehr sich selbst aussetzt in einem schattigen Computerraum, in einem depperten elektronischen Spiegel. Das ist sehr schade.

Auch die digitale Kultur kann doch Kunst entstehen lassen.

Es bleibt ja nichts anderes übrig. Sonst wäre es der Untergang. Es muss.

Als um 1910 die ersten Kunstfilme auf den Markt kamen, gabs bestimmt auch Leute, die meinten, am Theater werde die Kultur noch hochgehalten, aber im neumodischen Kino gehe sie unter.

Dann kam aber bald der Tonfilm, und der Farbfilm galt als Kitsch. In "Diese Nacht" ist die Farbe aber richtig eingesetzt, nämlich dramaturgisch. Dann hats seine Berechtigung, ansonsten liebe ich Schwarzweißfilme mehr.

Das Melodram als Form ist Ihnen seit je nahe. Was interessiert Sie an diesem alten Genre noch?

Die Sinnlichkeit. Dass man den Menschen als Körper nimmt und nicht als Gedanken. Die Sprache ist doch körperlich. Sie ist wie Pisse, das ist auch physisch. Alles ist Körper. Schauen Sie doch: Hier ist der Sprachkörper. Und jetzt ist er weg.

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