Werner Patzelt stellt seine Studie vor: Katechismus des Pegida-Verstehers
Der Dresdner Politologe Werner Patzelt hat versucht, Pegida zu erklären. Ist ihm ein neues Standardwerk gelungen?
Kein Stuhl blieb am Dienstagvormittag leer im großen Saal des Dresdner Stadtmuseums, als der führende Pegida-Exeget und Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden sein Werk vorstellte. Mit im Podium Koautor Joachim Klose, Leiter der Adenauer-Stiftung in Sachsen, und Landtagspräsident Matthias Rößler, ehemals Patriotismusbeauftragter der sächsischen Union.
Tatsächlich hat Patzelt nicht nur die drei zuvor an seinem Lehrstuhl erstellten Studien einfließen lassen, sondern auch Arbeiten von Kollegen, darunter seine Dresdner Professorenkonkurrenz Hans Vorländer. Diese empirischen Studien krankten sämtlich daran, dass jeweils nur etwa ein Drittel der angesprochenen Demonstranten den studentischen Interviewern Auskunft gab. Das vorliegende Großwerk ist hingegen wesentlich breiter, aber auch subjektiver angelegt.
Beleuchtet wird beispielsweise die schmale, aber nachlesbare Programmatik von Pegida, ohne allerdings nach der Autorenschaft zu fragen. Denn niemand traut dem Orga-Team um Lutz Bachmann eine solche intellektuelle Leistung zu.
Werner Patzelt und Joachim Klose: ,„Pegida: Warnsignale aus Dresden“, Verlag: Thelem, Juni 2016, 22 Euro.
Ausführlich wird auch die Internetpräsenz der „Bewegung“ betrachtet, wenn auch nur mit wenigen authentischen Beispielen gewürzt. Reden vom Lautsprecherwagen werden zumindest auszugsweise dokumentiert und kommentiert. Vorgeschichte und gesellschaftlicher Kontext bilden Schwerpunkte. Unter der von Lenin entlehnten Überschrift „Was tun?“ gibt Patzelt schließlich seinen ganz persönlichen Senf hinzu.
Rechts von der CSU
Der Untertitel „Warnsignale aus Dresden“ sei „sehr absichtlich gewählt“, betont Patzelt. Es sind die gleichen Signale, die er selbst in seinen 25 Dresdner Jahren mehrfach ausgesendet hat und die an Franz Josef Strauß erinnern, daran, dass es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe.
Sogar die sächsische Union war Patzelt noch nicht rechts genug, und die CDU insgesamt bekomme nun die Quittung dafür, dass sie den rechtspopulistischen Trend in ganz Europa nicht gesehen habe. Folglich spielt Patzelts Lieblingsbegriff von der „Repräsentationslücke“ im rechten Bevölkerungsspektrum eine zentrale Rolle im Buch.
Nicht zum ersten Mal sieht der Hauptautor Patzelt deshalb Pegida und die AfD als „einzigen Komplex“ an, der Ausdruck dieses europäischen Phänomens sei. Politiker hätten diese Warnsignale missachtet, dem Volk – sinngemäß – nicht aufs Maul geschaut und sich auf Political Correctness versteift. „Im Namen von Humanität wurden Andersdenkende wie Feinde behandelt“, sagt sich Patzelt.
Der Nährboden
Der in der DDR aufgewachsene Koautor Klose benennt eher Ursachen für das Pegida-Phänomen, die in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft nach dem Systemwechsel 1990 zu suchen sind. „Man kann Heimat verlieren, ohne die Region zu verlassen“, sagt er. Autoritäre DDR-Prägungen, Entwurzelung, Elitenwechsel und die Bildung deutscher Parallelgesellschaften bildeten den Nährboden für Pegida und AfD-Erfolge.
Im Tenor ergeht der Appell an die Eliten in Politik und Medien, auf das Gegrummel im Volk einzugehen – zu Pegida-Verstehern zu werden. Eine Aufforderung in Gegenrichtung an die Straße, die eigenen Rufe und Haltungen zu überprüfen, ist in den Schlussempfehlungen Patzelts zumindest ansatzweise zu entdecken. Neue Bewegungen hätten da eine Bringschuld. „Appelle an Pegida nutzen nichts, wenn sie nicht redewillig sind“, räumt er zugleich ein. Die weitgehend gescheiterten Dialogversuche, mit denen die von Klose besonders betonten Gräben in der Gesellschaft aufgefüllt werden könnten, werden nur gestreift.
Dessen ungeachtet empfiehlt Werner Patzelt Politikern weiterhin den Diskurs, insbesondere die Probleme der Einwanderungsgesellschaft betreffend. Journalisten sollten Selbstkritik üben und Dresden nicht länger beschimpfen: Die Stadt sei ja nur exemplarisch für einen europäischen Trend. Nicht dieser Trend scheint die Autoren am meisten zu beunruhigen, sondern der Umgang damit.
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