Abschiebung trotz Integration: Werdender Vater soll in den Irak zurück
Wenige Tage vor seinem Integrationstest wurde der Kurde Mustafa N. in Abschiebehaft genommen. Der Flüchtlingsrat kritisiert das Vorgehen der Behörden.

Als Mustafa N. am 29. April festgenommen worden ist, stand er kurz davor, alle Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zu erfüllen. In der Woche nach seiner Festnahme hätte er den Integrationstest „Mein Leben in Deutschland“ absolvieren sollen, für den er bereits angemeldet war.
Laut Simon Wittekindt vom Flüchtlingsrat Niedersachsen verfügt Mustafa N. „zweifelsohne über die notwendigen Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland“. Außerdem spreche und schreibe er sicher in der deutschen Sprache. Der Abschluss eines Sprachzertifikats auf Niveau B1 stand auch kurz bevor, auch wenn dieser für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gar nicht erforderlich ist. „Wir fordern daher, Mustafa N. die Teilnahme am Integrationstest und an der Sprachprüfung zu ermöglichen und ihm ein Aufenthaltsrecht zu erteilen“, sagt Wittekindt der taz.
Arbeitserlaubnis entzogen
Mehr als zweieinhalb Jahre arbeitete Mustafa N. in der Gastronomie und sorgte so für seinen Lebensunterhalt. Dann wurde ihm die Arbeitserlaubnis entzogen. Laut Mustafa N. mit der Begründung, er solle sich vorerst auf Sprach- und Integrationskurse konzentrieren. Das niedersächsische Innenministerium ließ eine Nachfrage des taz dazu unbeantwortet. Seine Partnerin, die in Süddeutschland lebt, und mit der er eine Fernbeziehung führt, ist im fünften Monat schwanger. Auch ihr droht die Abschiebung.
Simon Wittekindt, Flüchtlingsrat Niedersachsen
Grund für die bevorstehende Abschiebung sei, sagt Wittekindt, dass Mustafa N. die Anforderungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt habe.Der 27-Jährige sei ein paar Tage unabgemeldet nicht in seiner Unterkunft gewesen. „Dabei ist er stets zu allen Terminen erschienen“, sagt Wittekindt. Bei einem solchen Termin wurde er dann festgenommen. Am Folgetag ordnete ein Richter des Amtsgerichts Hannover die Abschiebehaft an.
Derzeit ist Mustafa N. in der Abteilung Langenhagen der Justizvollzugsanstalt Hannover inhaftiert. Räumlich werden Menschen, denen die Abschiebung droht, von anderen Vollzugsformen getrennt. Außerdem sind täglicher Besuch, mehrstündiger Aufenthalt im Freien, Internetzugang und Handybesitz möglich. Dennoch gab es in der Vergangenheit Kritik an der gleichzeitigen Unterbringung von Gefangenen im Strafvollzug und Menschen in Abschiebehaft, da trotz der speziellen Haftbedingungen von einer sogenannten Übersicherung auszugehen sei.
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert das Vorgehen der Ausländerbehörde und des Innenministeriums scharf. Während das Innenministerium die Durchführung prüft, hält die Ausländerbehörde an ihrem Vorgehen fest.
Irak gilt als unsicheres Land
Abschiebungen in den Irak sind in Deutschland umstritten. Der Irak gilt noch immer als unsicheres Land, von Reisen rät das Auswärtige Amt ab. Es müsse landesweit mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen gerechnet werden, so die Begründung.
Immer wieder gab es Phasen, in denen Abschiebungen in den Irak ausgesetzt wurden. Im April 2024 entschied das niedersächsische Innenministerium, Abschiebungen in den Irak wiederaufzunehmen. Bereits diese Grundsatzentscheidung hält der Flüchtlingsrat für falsch, und fordert, sie rückgängig zu machen. Den konkreten Fall hält Wittekindt für einen Skandal: „Die Abschiebung eines werdenden Vaters stellt eine erhebliche Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Herrn N. dar.“
Der genaue Zeitpunkt der Abschiebung steht bisher noch nicht fest. Die Haft wurde bis zum 10. Juni angeordnet. Mustafa N. hat über einen Rechtsanwalt Beschwerde eingelegt. Diese könne sich laut Wittekindt aber bis zu zwei Jahre ziehen. Eine Abschiebung sei in dieser Zeit dennoch möglich.
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