: Werch Illtum!
■ SPD: Wahlkampf mit dem Slogan „Weniger Staat“?
Schon seit Jahren werden wir seitens interessierter Kreise mit der Forderung nach „schlankem Staat“ malträtiert, vulgo der umstandslosen Übertragung betriebswirtschaftlicher Kategorien aufs hoheitliche Handeln und der Abschiebung von Staatsaufgaben auf private Träger. Die Sehnsucht nach „windhündiger Verwaltung“ (eine glückliche Formulierung W.D. Narrs) hat jetzt die SPD dazu bewogen, ein „Grundlagenpapier“ mit dem schnittigen Titel „Moderner Staat in einer modernen Gesellschaft“ zu erarbeiten. Wegweiser für die 98er-Wahl? Die AutorInnen versichern, sie wollten keinen Nachtwächterstaat und ließen sich ausschließlich von praktischer Vernunft leiten. Diese „praktische Vernunft“ gilt es zu kritisieren.
Die Autoren konstatieren, nachdem sie, um uns zu beruhigen, einen öffentlichen „Kernbereich“ festgelegt haben, daß viele Menschen (welche?) ihre Angelegenheiten selbst regeln wollen. Es gelte, den Nachbarschaftsgedanken wiederzubeleben. Welche Nachbarn bitte, welche Initiativen? In welchem Verhältnis zu den öffentlichen Institutionen? Weh mir, wenn mein Kiez für mich sorgen wird!
Die SPD fordert sparsamen Umgang mit dem Geld der Bürger. Dabei scheuen sich die Autoren des „Grundlagenpapers“ nicht, die Lieblingsstichworte des New Public Management nachzubeten. Was ist schon gewonnen, wenn zukünftig bei der Feuerwehr die „Produktgruppe Brandbekämpfung“ angeboten wird, vielleicht noch mit differenzierendem Zeitfaktor: brandeilig, mitteleilig, hat noch Weile?
Sparsam zeigen sich die Autoren bei der Ausarbeitung der zwei für die Reform der öffentlichen Verwaltung wichtigsten Stichworte: Demokratisierung und Dezentralisierung. „Allgemeine Dienstleistungszentren“ – schön und gut. Aber über demokratische Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten der Bürger bis hin zum freien Zugang zu Informationen nichts. Nichts darüber, wie von der Schule bis zum Krankenhaus autonomes Handeln der Träger ermöglicht werden soll. Und nichts darüber, wie das Berufsbeamtentum sachte abgeschafft werden könnte. Dessen Bedeutung, zum Beispiel für die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols, sei „unumstritten“. Werch ein Illtum! Christian Semler
Bericht Seite 4
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