Werbung am Bildungsministerium: Ministerium für Verschwörung
Prominenter Hinweis auf eine krude Verschwörungstheorie: Ausgerechnet an einen ministeriellen Bauzaun macht ein Kunstwerk auf "Chemtrails" aufmerksam
BERLIN taz | Normalerweise finden sich Hinweise auf „Chemtrails“ (deutsch etwa: Chemiestreifen) vor allem auf dubiosen Internetseiten. Dort blüht seit Ende der 1990er Jahre die Theorie, dass Flugzeuge neben ihren Abgasen auch Chemikalien oder Mikroorganismen in der Luft versprühen, was zu auffälligen, lang anhaltenden Kondensstreifen führt.
Ziel soll mal die Bekämpfung des Klimawandels sein, mal die Reduktion der Bevölkerungszahl, mal die Veränderung des Denkvermögens; als Urheber gelten vor allem die US-Regierung, die CIA oder die Illuminaten.
Die Theorie breitete sich zwischenzeitlich so stark aus, dass sich Behörden wie das deutsche Umweltbundesamt und Organisationen wie Greenpeace genötigt sahen, in ausführlichen Stellungnahmen klarzumachen, dass an den Behauptungen nichts dran ist (was bei den Anhängern natürlich nicht zum Verschwinden der Verschwörungstheorie führte, sondern als Beleg für das wahre Ausmaß der Verschwörung gewertet wurde).
Doch nun dringt die Wahrheit endlich an die Öffentlichkeit. Und zwar von der höchsten Instanz, die das Land in Sachen Wissenschaft zu bieten hat: dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Das lässt direkt neben dem Berliner Hauptbahnhof derzeit sein neues Domizil errichten. Und auf dem Bauzaun, der für die BMBF-Website www.zukunftsprojekt-erde.de wirbt, prangt neben vielen Tier- und Pflanzenmotiven an zentraler Stelle eine auffällige Collage mit einem Flugzeug und dem Slogan „Inform yourself about Chemtrails!“.
Das Ministerium will damit aber nichts zu tun haben. Der Bauzaun, der eine „künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit“ bieten soll, sei von Schülern der Berliner Anna-Seghers-Schule in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Laleh Torabi gestaltet worden, sagte ein Sprecher der taz. „Denen haben wir keinerlei Vorgaben gemacht.“ Auch wenn sich das Ministerium die Chemtrail-Theorie „in keiner Weise zu eigen“ mache, sehe man keinen Anlass, die Collage auf dem Bauzaun zu entfernen.
Die Künstlerin erklärte gegenüber dem Blog der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften übrigens, das Motiv solle nicht für die Chemtrails-Theorie werben, sondern zur kritischen Auseinandersetzung damit aufrufen. Wenn das wahr sein sollte, ist es zumindest reichlich naiv. Die Vorstellung, dieses Motiv würde keine neuen Anhänger der kruden Theorie gewinnen, sondern Chemtrails-Gläubige bekehren, erfordert jedenfalls eine rege Fantasie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern