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Werbebotschaft und Verbrauchertip

Die TV-Reisemagazine „Reiselust“ (ZDF) und „ARD-Ratgeber: Reise“ im Test  ■ Von Günter Ermlich

Endlich mal eine gelungene Programmabstimmung: letzten Samstagnachmittag. Von 15 Uhr bis 15.30 Uhr gab es „Reiselust“ im ZDF, gleich im Anschluß von 15.30 Uhr bis 16 Uhr den „ARD- Ratgeber: Reise“. Samstagnachmittags! Wer glotzt da schon TV? Die zahlungskräftige, mittelständisch-dynamische Reiseklientel bestimmt nicht! Reisemagazine, ein typischer Fall von Minderheitenprogramm, wo es doch die große Mehrheit tut?

Aus einer grauen Menschenmasse (Symbol für den grauen Alltag!) erhebt sich mit kräftigen Schwingen ein bunter Vogel (Raus aus dem Alltag!), schwebt flugzeuggleich über die Weltkarte, die sich dann in einen sich drehenden Erdball verwandelt. Dazu sphärische Musikklänge. Ende des Vorspanns von der ZDF-„Reiselust“.

Erster Beitrag: Österreich. Das Gasteiner Tal. Anmoderation aus dem Off: „Wo früher Könige zu Gast waren, herrscht heute König Kunde.“ O-Ton-Kostprobe: „Wer das Bad in der Menge liebt, geht ins örtliche Thermalbad, das großzügig und modern ausgebaut wurde: Während man sich unten im warmen Naß vergnügt, genießt man hoch droben eiskalt das Rutschen auf dem Gefrorenen. Im Gasteiner Tal gibt es 53 Seilbahnen und Lifte. Insgesamt 170 Kilometer präparierte Skiabfahrten. Das Ganze glitzert und glänzt auf Höhen bis zu 2.200 Metern.“ Ein Hotelier posiert direkt vor einer Mercedes-Karosse und sondert Schlauheiten zum qualitätsbewußten und erlebnishungrigen Touristen ab. Dann adäquate Bilder: das Interieur eines Nobelhotels mit Hotelbar, die Happy Few rund um den Roulettetisch im Spielcasino. Filmfazit: „Also immer noch der Duft und Glanz der großen weiten Welt im Gasteiner Tal.“ Langsamer Kameraschwenk über das schneeweiße Bergpanorama, untermalt von musikalischen Tuschs. Eine einzige Werbebotschaft, mit schillernden Prospekt-Bildern und sprachlichen Klischees. Der Beitrag dürfte den Tourismusverantwortlichen im Gasteiner Tal das Herz zum Hüpfen bringen.

Minima Moralia des sanften Tourismus

Dann ein „Reisetip“ über die Olympiastadt Lillehammer. „Die Norweger sind ein sportbegeistertes Volk. Vor allem lieben sie den Skilanglauf. In jeder freien Minute, an jedem freien Wochenende ziehen sie hinaus in die Loipen.“ Einzigartige Winterlandschaften, melodramatische Musik. Dezenter Hinweis am Rande, daß ein Menü 60 Mark kostet, „und auch der Alkohol ist teuer in Skandinavien“. Resümee: „Wer sich Norwegen einmal leisten möchte, für den ist Lillehammer das ideale Einstiegsrevier.“

Dritter Magazinbeitrag: Eine organisierte Radwanderwoche auf Mountainbikes durch Mallorcas Bergwelt. Alles inklusive „kostet die TUI-Radwanderwoche pro Kopf 2.000 Mark“. Dezentes Name-Dropping: der deutsche Reiseriese nun auch auf dem Rad aktiv.

Finale furioso, das Reise-Info: „Umweltfreundliches Reisen“. Jetzt zieht die Redaktion die Kritik-Schublade gaaanz weit auf. Weil es verschiedene touristische Gütesiegel, aber keine einheitlichen Kriterien gebe, will „Reiselust“ „den Urlauber mit ökologischem Bewußtsein“ ökostruieren: der Bus als ökologisch bestes Verkehrsmittel, Skigebiete mit unberührter Natur, Benutzung von Umwelttickets des öffentlichen Nahverkehrs, Umweltschutz in der Unterkunft (angepaßte Bauweise, abbaubare Putzmittel, vorbildliche Kläranlagen und MÜlltrennung). All diese umweltfreundlichen Angebote verdienen, so will es „Reiselust“, Ökopunkte und einen Bonus. „Solange es aber keine verbindlichen Kriterien gibt, ist das mit Eigeninitiative verbunden ... Denn dann hat der Sanfte Tourismus eine Zukunft.“ Der Öko-Tourismus ruht sanft auf den Schultern der Verbraucher.

Und überall geht's „typisch“ zu: ob die „typische Wiener Kaffeehausatmosphäre“ (Gasteiner Tal), „die typischen Mitbringsel aus Norwegen“ (Lillehammer) oder „Diese krassen Gegensätze sind eben typisch für die Insel“ (Mallorca). Der bunt gemixte Reisecocktail bedient vorwiegend den Hautgout der touristischen Upperclass, ist brav und bar jeder Kritik und biedert sich der Touristikindustrie über die Maßen an. Servicejournalismus eben, dem die Distanz zum Reisegeschäft bei Sachertorte und Rentierfleisch abhanden gekommen ist.

Schleunigst umschalten zum „ARD-Ratgeber: Reise“ (diesmal vom Saarländischen Rundfunk). Der Moderator, seriös und etwas dröge, sitzt auf einem gelbem Würfel im Studio, im Hintergrund Eiffelturm, Freiheitsstatue und Buddha. Mit bedächtigen Worten führt er durch die Magazinsendung. Zunächst ein informativer, inhaltlich wie sprachlich präziser Bericht zum Buchen von Last-Minute-Angeboten. Dann ein Beitrag über Indiens kleinsten Bundesstaat Kerala, „jetzt von mehreren deutschen Veranstaltern mit Rundreiseprogrammen angeboten“. Das verheißt eine TV-gerechte Prospektschau, doch Fehlanzeige: Der Beitrag ist geradezu kritisch. Der Aufmarsch von hundert Elefanten wird als „touristische Showveranstaltung“ tituliert: „Deshalb sprechen einheimische Kritiker auch vom Ausverkauf der Sitten und Gebräuche. Es gab Demonstrationen gegen die touristische Vermarktung.“ Wir erfahren, daß auf den Tragegestellen der Elefanten, früher verehrte Gottheiten, nur die privilegierten Maharadschas reiten durften. Heute thronen dort die Touristen. Wir erfahren auch, daß die Keralesen „1956 die weltweit erste kommunistische Regierung in freier Abstimmung“ wählten. Insgesamt ein wohldosiertes Mixtum kompositum aus durchaus schönen Bildern, geschichtlichem Rückblick, Tourismuskritik und Urlaubstips. Nach dem Service- Beitrag über „Winterangebote“ ein kritischer Beitrag, monothematisch der Landschaftsverschandelung durch „ungezügelte Bauwut“ an der portugiesischen Algarve gewidmet. „Statt die Entwicklung mit Augenmaß voranzutreiben, lockt das große Geld.“ Der Autor ist skeptisch, ob durch „langsam keimendes Umweltbewußtsein und strikte Bebauungspläne“ der Algarve das Schicksal anderer Touristenzentren erspart bleibt“.

Die Namen sind schon Programm

Dann ein Bericht über die Organisation von „Country Inns in Kalifornien (luxuriöse Landhäuser mit Bed & Breakfast-Angeboten) für die anspruchsvolle, gutbetuchte Urlaubsklientel und „Touristische Kurzberichte“ (bunter Servicemix, darunter ein „Ski-Komplett-Angebot in Österreich“), von einer Tagesschau-Sprecherin (Glaubwürdigkeit!) vom Blatt gelesen. Zum Schluß die „Touristische Streitfrage“ in Comicform: die Beschwerden der Zuschauerin Weiß beim Veranstalter „Continental Tours“ wegen Mängeln beim letzten Ägypten-Urlaub. „Ratgeber Reise“ als Anwalt der Geprellten und Entrechteten!

Eine Stunde Reisen im Fernsehen. Die Namen sind Pogramm. „Reiselust“ ist touristische Anmache, TV-Anheizer für (ge)schön(t)e Urlaubserlebnisse und -stimmungen. „Ratgeber Reise“ ist mehr TV-Volkshochschule in Sachen Urlaub, Stütze für den touristischen Verbraucher.

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