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Wer so stirbt, der stirbt wohl

■ Freiwillige der Hospiz-Hilfe stehen in Bremen Todkranken und Sterbenden bei/ taz-Serie zum Thema „Sterben in Bremen“, Teil 1

„Austherapiert“, so lautet die Diagnose der Chefärztin. Der 38jährige Krebskranke wird nachhause entlassen. Vielleicht bleiben ihm noch zwei Wochen, vielleicht noch zwei Monate. Auf jeden Fall hat er noch Wünsche. Zum Beispiel mit dem Rollstuhl im Weserpark oder bei Dodenhof bummeln, vielleicht ein Rasierwasser kaufen, anschließend Kaffee trinken. Und er hat Fragen. Wie werden die Schmerzen zuletzt sein? Und was kommt „danach“? Mit diesen Fragen wagt er nicht, seine Frau zu belasten. Die muß ohnehin schon vor dem Kind die Tapfere spielen.

Mit all diesen Bedürfnissen kann sich der Todkranke an seinen Sterbebegleiter wenden. Der kommt jede Woche für rund acht Stunden, kostenlos. Geschult wurde er von der Bremer Hospiz-Hilfe. Die Bremer Hospiz-Hilfe will mit ihren knapp 35 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen Todkranken „ein würdiges und liebevoll behütetes Sterben“ ermöglichen, am besten zuhause, aber auch in Kliniken. Fernziel der Bremer Gruppe ist ein festes Haus, ein Hospiz, in dem Sterbende ein letztes Zuhause finden. Vor etwa 20 Jahren wurden die ersten solcher überkonfessinellen Hospize in England gegründet. Dort gibt es mittlerweile schon 160 Hospize. In der Bundesrepublik derzeit fünf, weitere sind im Aufbau.

Nicht nur die Sterbenden, sondern auch die Angehörigen sind von Fragen geplagt. Fragen, mit denen die Familie nicht den Todkranken belasten will. Wer zahlt den Rollstuhl? Wie kriegt man den Hausarzt dazu, Morphium zu verschreiben? Wovon wird die Familie „nachher“ leben? Aber auch: Soll man, darf man es einem Sterbenden antun, endlich doch über diese Kränkung damals zu sprechen? In der Regel raten SterbebegleiterInnen dazu. Sie helfen, eine schmerzhafte Aussprache zuzulassen und zu durchstehen. Das erfordert Mut. Von allen Beteiligten.

Besonders viel Mut brauchen SterbebegleiterInnen für das Gespräch über das Sterben selbst. Die Sterbebegleiterin Rosemarie Mester ist selbst schon mal todkrank gewesen. Ihre Lieblingsfarbe seitdem: pink-rosa. Verheißungsvoll pink-rosa nämlich leuchtete es am Ende des Tunnels, den sie damals in ihrer Ohnmacht sah. Rosemarie Mester geht zusammen mit den Sterbenden auf Phantasiereise. Ist das Sterben so aufregend und schön wie das Öffnen eines Weihnachtsgeschenkes? Oder steigt man in einen Zug mit unbekanntem Ziel? Begleitung heißt dabei aber nie, selbst die Führung zu übernehmen, gar sich den Sterbenden in den Weg zu stellen – sondern ihnen in der Krise zu folgen.

Den Mut zu solch einem Weg erarbeiten sich angehende Hospiz-MitarbeiterInnen in einem etwa 90 stündigen Kurs. Hier erinnern sie sich an eigene Verluste, greifen unerledigte Trauer auf. Nach der Sterben-Leben-Meditation am ersten intensiven Wochenende springt regelmäßig die Hälfte der TeilnehmerInnen wieder ab. „Das ist auch gut so“, sagt Rosemarie Mester, denn die BegleiterInnen müssen in der Lage sein, die Angst vor dem eigenen Sterben zuzulassen und ihr standzuhalten, sonst können sie auch die Angst des Todkranken, ihr Klagen und Zagen nicht aushalten. Später hilft ihnen dabei eine Pflicht-Supervision alle vierzehn Tage.

In der Sterben-Leben-Meditation simulieren die TeilnehmerInnen die Situation von Todkranken: Es bleibt nur noch wenig Lebenszeit. Das zwingt, sich auf Wesentliches zu konzentrieren, bisherige Wertmaßstäbe zu überdenken. Was sind meine Erfolge, was ist meine Macht mir wert? Das ist für viele schmerzhaft. Manche erkennen, daß sie Lebenszeit vertan haben, andere merken, daß sie die Ziele, die ihnen eigentlich wichtig wären, nicht erreicht haben. Verdrängen die Hospiz-HelferInnen jedoch diese Fragen, weil sie sie als zu bedrohlich empfinden, beschneiden sie die Beziehung zu den Sterbenden um einen großen Teil.

Rund 64 Menschen haben in Bremen bislang an den Kursen der Hospiz-Hilfe teilgenommen: Krankenschwestern, die nicht mehr hilflos am Bett von Sterbenden stehen wollten, AltenpflegerInnen, aber auch Hausfrauen, RechtsanwältInnen, StudentInnen ... Pflegerisch lernen sie nur das Notwendigste, damit sie auch in Abwesenheit der Angehörigen ein Nachthemd wechseln, den Kathederbeutel leeren oder das Bett beziehen können, ohne den Menschen groß zu quälen. Viel mehr Platz nimmt die Frage ein, woher man sich Kraft holt und wie man auch bei anderen Resourcen entdecken kann. Nützlich dabei ist die mentale Methode des Neurolinguistischen Programmierens (NLP). Mit dieser Hilfe können Sterbende auch noch in Phasen großer Verwirrung und Verzweiflung sogenannte „wohlgeformte Ziele“ entwickeln. „Es ist oft erstaunlich, welche Kräfte Sterbende noch mobilisieren können, wenn sie den Besuch eines bestimmten Verwandten aus dem Ausland abwarten wollen oder die Geburt eines Babies in der Familie“,sagt Rosemarie Mester.

Doch irgendwann kommt die letzte Stunde. Meist hat sich dann auch der letzte Zorn gelegt, die Sterbenden sind ruhig geworden, vielleicht schon nicht mehr ansprechbar. „Dann ist es einfach nur noch wichtig, da zu sein“, sagt Rosemarie Mester, „die Lippen feuchtmachen, die Haut fetten, und vor allem immer ein Licht anlassen, nicht zu hell, am besten abgedunkelt.“ Christine Holch

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