: Wer sind die Meßcheten?
■ Von Steffi Engert
Wer sind die Opfer der jüngsten Pogrome, in denen sich ethnische Konflikte in der UdSSR entladen? Diesmal machten sich in Usbekistan Angehörige der Hauptnation („Titularnation“), der Usbeken, über eine kleine Minderheit her: die Meßcheten.
Die wie die Usbeken türkischsprachigen und islamischen Meßcheten leben seit nahezu 45 Jahren unfreiwillig, aber friedlich unter ihren zentralasiatischen Nachbarn. Unfreiwillig, weil sie wie Krimtataren, Wolgadeutsche und eine Reihe anderer Völkerschaften 1944 aus der Region Meßchetien in Südgeorgien gewaltsam nach Zentralasien deportiert wurden. Warum das geschah, bleibt bis heute rätselhaft, denn im Gegensatz zu anderen verschleppten Völkern wurden sie nie beschuldigt, mit der deutschen Wehrmacht kollaboriert zu haben. Nach der Vertreibung und ihrer ethnischen „Reklassifizierung“ von „Aserbaidschanern“ zu „Türken“ fielen sie der Vergessenheit zum Opfer. Als unter Chruschtschow 1956/57 andere deportierte Völker rehabilitiert wurden, blieben diejenigen aus Meßchetien unerwähnt.
Bis Ende der fünfziger Jahre hatten die Zwangsumgesiedelten, die in ihrer Heimat in Südgeorgien fünf ethnische Gruppen gebildet hatten, ein gemeinsames Nationalgefühl entwickelt. Sie verstehen sich seither als „Meßchi Türken“. Seit 1957 schicken sie wie die Krimtataren Vertreter nach Moskau, um ihre Rückkehr in die Heimat zu verlangen. Ihre Taktik radikalisierte sich 1968. Das Dekret, in dem sie in jenem Jahr endlich rehabilitiert wurden, enthielt nämlich zugleich eine scharfe Absage gegen ihre Forderung, in die Heimat zurückzukehren. Rehabilitierung sollte mit Assimilation erkauft werden.
Die meßchetische Bewegung wurde durch die Repression unter Andropow als KGB-Chef in den siebziger Jahren stark beeinträchtigt, wenn auch nie völlig ausgelöscht. Perestroika weckt auch ihre Hoffnung, und sie vertreten ihre alte Forderung wieder mit Nachdruck. Schon allein dadurch grenzen sich die Meßchi von ihrer usbekischen Umgebung ab. Daß sie auf ihrer Besonderheit bestehen, hat ihnen soziale Diskriminierung, abzulesen an der hohen Arbeitslosenquote, beschert und sie zu Sündenböcken gemacht, an denen Aggressionen ausagiert werden können. Wenn auch an der Wurzel des Problems ein Unrecht der russischen Zentralmacht liegt, zeigt sich an den aktuellen Geschehnissen der alte Mechanismus von bequemer Ausgrenzung von „anderen“ als Zielscheibe für Gewalt, den offenbar auch die türkischsprachigen islamischen „Brüder“ aus eigenem Antrieb in Gang setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen