■ Wer ist „mein Volk“?: Entscheide selbst
Mein jüdischer Urgroßvater verließ seine Familie, um im Ersten Weltkrieg für sein Land, für Polen zu kämpfen und zu sterben. Meine Großmutter und ihre Geschwister haben ihm nie verziehen, dass ihm die Loyalität zu seinem Heimatland wichtiger war als die zu seinem, dem jüdischen Volk.
So mag die Entscheidung von Ignatz Bubis, sich in einem Land begraben zu lassen, das er nie als Heimat bezeichnet hat, für meine Großmutter leichter zu verstehen sein als für mich.
Von Bubis' letztem Wunsch zu seinem Begräbnis bin ich genauso enttäuscht wie von meiner eigenen Familie, die ihren Vorfahren wegen seiner Assimilierung verurteilt hat. Wer Außenseiter bleibt, erreicht wenig. Das hat Bubis durch sein Leben und seine Anteilnahme in Deutschland immer wieder geltend gemacht.
Seine damit unvereinbare letzte Entscheidung hat sich bereits als Fehler erwiesen. Sein Grab in Israel, wo er angeblich vor Kritikern und Feinden abgeschottet sein sollte, ist von einem Intellektuellen geschändet worden, der in ihm einen Feind des jüdischen Volkes sah. Die vandalistische Tat von Mendelssohn hat den Symbolismus, den Bubis im Sinn hatte, auf den Kopf gestellt. Doch Bubis' Mut, in Deutschland zu leben, der ein lebendiger Beweis dafür war, dass Hitler gescheitert ist, hat mehr Bedeutung als sein diskreditierter letzter Wille, in Israel begraben zu werden.
Meine US-amerikanische Identität macht Israel zu einem fremden Land für mich. Wie mein Urgroßvater sich als Teil Polens fühlte, so fühle ich mich als Teil der USA. Und Bubis sagte, er fühle sich als Teil Deutschlands, trotz der Verbrechen der Nazis.
Dieser vernünftige Standpunkt sollte ein Beispiel für alle Ethnien dieser Welt sein: Wir haben das Recht, ein Heimatland in die Arme zu schließen, auch wenn das einigen Leuten in diesem Land nicht genehm ist. Jay Weinstein
Der Autor ist Journalist aus den USA und arbeitet im Rahmen des „Arthur F. Burns Fellowship“ zur Zeit in der taz.
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