: Wer hilft da wem?
Eintüten, Tür aufhalten, einladen: Beim Shoppen gehen in Schleswig-Holstein neuerdings junge „Server“ den Kunden zur Hand. Doch das Pilotprojekt ist umstritten: Entsteht hier ein neues Dienstleistungsproletariat? ■ Aus Wentorf Heike Haarhoff
Ein cremefarbenes Waschbekken thront auf einem Stapel Regalbretter, der Karton mit der Stehlampe und der Aufschrift „fragile“ kippelt bedenklich, und die Frau dahinter hat sichtlich Mühe, ihren vollbepackten Einkaufswagen zu manövrieren. „Warten Sie!“ Sandra B. hat die Situation sofort erkannt. Schon hält sie der Kundin die Tür auf, auf daß diese der Frau nicht in den Rücken schwingt. Von der Warenausgabe im „Möbelpark Sachsenwald“ bis zum hauseigenen Parkplatz sind es jetzt nur noch wenige Meter. Braucht die Kundin noch Hilfe beim Einladen? Danke, nein. „Dann noch einen schönen Tag“, wünscht Sandra B. ihr hinterher, das Profi-Grinsen einer geschäftstüchtigen Verkäuferin im Gesicht. So, als habe sie, die gerade 20 Jahre alt geworden ist, ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Dabei ist Sandra B. erst seit zwei Wochen im „Möbelpark Sachsenwald“ im schleswig-holsteinischen Wentorf beschäftigt. „Serverin nach amerikanischem Vorbild“ heißt ihre Tätigkeit neudeutsch, was, in den Arbeitsalltag übersetzt, bedeutet, daß Sandra den Kunden im Möbelpark zur Hand geht – beim Eintüten, Türöffnen, Einladen, Wegweisen, Auskunftgeben. Vier Tage die Woche, am fünften Tag dann ist Sandra Schülerin. Das alles für monatlich 725 Mark brutto, macht nach Abzug der Sozialabgaben 500 Mark netto und ist eine Maßnahme zur Wiedereingliederung schwervermittelbarer Jugendlicher, finanziert von der Bundesanstalt für Arbeit.
„Server, hm, Dienstleister. Ich weiß auch nicht, wie ich unsere jungen Leute anders bezeichnen soll“, überlegt Möbelpark-Geschäftsführer Joachim Marks. Kein Wunder: Das Tätigkeitsprofil von Jugendlichen wie Sandra B. ist eine bundesweite Neuheit. Ende August begann das Pilotprojekt, das der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael von Schmude anschob, um, wie er sagt, „Jugendlichen, die bisher immer nur aussortiert worden sind, eine Chance zu geben“. Zunächst befristet auf ein Jahr sind in Schleswig-Holstein 100 arbeits- und lehrstellenlose Menschen zwischen 15 und 25 Jahren sowie weitere 20 Jugendliche rund um die mecklenburgische Landeshauptstadt Schwerin als Server eingestellt. Die Kosten trägt das Arbeitsamt; die Betriebe zahlen lediglich 95 Mark pro Server und Monat an eine eigens gegründete Dienstleistungsgesellschaft. „Wir“, erklärt deren Geschäftsführer Bernd Döhring, „besorgen die Praktikumsplätze, sprechen mit der Wirtschaft und der Arbeitsverwaltung.“ Auch hält Döhring den Kontakt zur Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, dem zentralen Bildungsträger der drei Industrie- und Handelskammern im nördlichsten Bundesland, wo die Jugendlichen einen Tag pro Woche „ein bißchen Rechtschreibung, ein bißchen Kommunikation und ,Wie bewege ich mich im Betrieb‘“ lernen. Am Jahresende bekämen die Server ein Zeugnis sowie die vage Aussicht auf eine Weiterbeschäftigung als Hilfskraft oder eine Lehrstelle, wobei das Server-Jahr nicht auf die Lehrzeit angerechnet werde. Für die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen Grund genug, das Pilotprojekt als „Sprungbrett für Dumping-Angestellte“ zu beschimpfen.
Einzelhandelslehrlinge dagegen, zürnt die Gewerkschaft, erhielten im ersten Ausbildungsjahr 1.015 Mark brutto und statt eines unverbindlichen Zeugnisses einen qualifizierten Berufsabschluß. „Immerhin“, verteidigt CDUler von Schmude seine Idee, hätten die Server nach einem Jahr Anspruch auf Arbeitslosengeld. Von Schmude ist CDU-Direktkandidat bei der Bundestagswahl. Doch auch die Bildungseinrichtungen in dem rot-grün regierten Land stehen der Initiative positiv gegenüber. Immerhin, sagt Friedrich- Wilhelm Huth von der Wirtschaftsakademie, handele es sich um Jugendliche, „die sonst durch jedes Förderraster fallen“; solche wie Sandra B., die 250 Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz als Einzelhandelskauffrau geschrieben hat, seit sie vor zweieinhalb Jahren die Hauptschule verließ.
„Eine 4-Gigabyte-Platte habe ich mit den ganzen Anschreiben durchgeknallt.“ Den fünf Bewerbungsgesprächen folgten fünf Absagen. „Freiwillig“, sagt sie, ist sie schließlich der Empfehlung der Berufsberaterin gefolgt und hat sich beim Möbelpark gemeldet. „Ganz plietsch“ seien diese „jungen Leute“ mitunter, lobt Lutz Rucktäschel vom benachbarten Praktiker-Baumarkt in Wentorf, wo vier Server beschäftigt sind. Adam aus der Abteilung „Farben und Lacke“ zum Beispiel mit seiner gelassenen Art, mit der er auch den nervigsten Kunden nach nur zwei Wochen Einarbeitungszeit sämtliche Vor- und Nachteile seiner Waren erklärt. Aber eben nicht „plietsch“ genug, um sofort eine Lehrstelle zu ergattern. „Keinen von unseren Servern hätte ich eingestellt“, stellt Geschäftsleiter Rucktäschel klar. Weil einer wie Adam, der 20 ist und seit bald vier Jahren immer wieder Praktika, Jobs und Lehrstellen abbricht, „ganz klar unterlegen ist gegenüber unseren anderen Bewerbern“. Andererseits findet Rucktäschel, „daß wir eine gesellschaftliche Verpflichtung haben“. Und deswegen, beteuert er, „müssen die hier nicht nur billige Dienstleistungen erbringen“, sondern lernen in dem einen Jahr den ganzen Betrieb kennen. Und anschließend? „Eine Garantie gibt ihnen keiner.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen