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Wer dreht die Gewehre gegen Ceausescu?

■ Noch hält die Nomenklatura in Rumänien zu dem Familienclan

Schon durchkämmen rumänische Soldaten ganze Stadtviertel Haus für Haus und wollen alle verhaften, die an den jüngsten Demonstrationen in Temeswar teilgenommen haben. Vereinzelt werden Leute aus den Häusern geholt und erschossen. Das Militär ist willfähriges Instrument des Diktators Ceausescu geblieben, der als Gast in Teheran die Hände in Unschuld wäscht. Der Staatsapparat hat die Schuld auf sich geladen. Die jetzt Verantwortlichen können sich nur davon befreien, wenn sie die Gewehrläufe umdrehen. Rumänische Schrift steller rufen die Soldaten auf, nicht mehr gegen das eigene Volk zu kämpfen.

„So fing es an: Ein reformierter ungarischer Pfarrer, Laszlo Tökes, sollte aus seiner Kirchengemeinde entfernt werden. Ein ethnischer Konflikt? Spannungen zwischen Ungarn und Rumänen? So hätte das Regime es gern.

Ceausescu hatte immer schon mit Gefühlen Politik gemacht. Zuerst mit den antisowjetischen in der Bevölkerung, um unter dem Deckmantel des Nationalkommunismus seine persönliche Diktatur auszubauen. Seit Gorbatschows Amtsantritt hat er es damit schwer. So blieb dem Regime nichts anderes übrig, als den historisch begründeten Konflikt zwischen Rumänen und Ungarn neu zu beleben. Es ist eine kriminelle Idee, und die Hauptleidtragenden sind die Angehörigen der ungarischen Minderheit.

Pfarrer Tökes wurde bekannt als Kritiker der Verhältnisse in Rumänien und des Ceausescu-Regimes. Die Völker Rumäniens haben eingesehen, daß die ethnischen Konflikte nur ein Nebenschauplatz sind. Die tiefe Krise des Landes, das Elend, das alle betrifft, Rumänen, Ungarn, Deutsche, Serben, haben die eine, große Ursache: die Ceausescu-Diktatur. So riefen die Menschen, die am Wochenende in der Stadt Temeswar auf die Straße gegangen sind, logischerweise: „Nieder mit Ceausescu!“ und „Freiheit! Freiheit!“

Es ist wieder einmal, zwei Jahre nach dem Aufruhr in Kronstadt, eine Demonstration aus der Verzweiflung heraus. Die Menschen, die in maßlosem Elend leben, während der Ceausescu-Clan sich seinen Ausschweifungen hingibt, erkennen, daß es so nicht mehr weitergeht.

Temeswar liegt im Banat, und dieses befindet sich im Dreiländereck Jugoslawien, Rumänien und Ungarn. Hier haben seit Jahrhunderten mehrere Völker zusammengelebt. Gerade die Stadt Temeswar war immer beispielhaft für dieses Zusammenleben. Die Entwicklungen in den Nachbarländern strahlen auf die Stadt, auf das Land aus. Die Menschen leben unter dem Eindruck der Reformen in den anderen osteuropäischen Ländern, das Regime befindet sich unter ihrem Druck.

Ceausescu steht mit dem Rücken zur Wand. Er ist der letzte der Mammuts, wie der rumänische Schriftsteller Mircea Dinescu, der in Bukarest unter Hausarrest lebt, sagen würde. Die Nomenklatura kann sich von Ceausescu nicht trennen, weil sie offensichtlich in seinen kriminellen Machenschaften zu tief verstrickt ist. Der Stillstand, den Ceausescu im Land herbeigeführt hat, weicht der Ratlosigkeit.

Die Opposition hat keine politischen Strukturen. Es haben sich im Laufe der Jahre immer wieder auch Intellektuelle zu Worte gemeldet, wie die Klausburger Hochschullehrerin Doina Cornea, aber es war eher ein moralischer Grund, der sie zu öffentlicher Anklage zwingt. Auch hat Ceausescus Nationalkommunismus, der im Grunde ein Nationalstalinismus ist, die Nationalthemen, die sonst der Opposition in Osteuropa zufallen, schon sehr früh besetzt und manipuliert. So ist das Volk kopflos, es sind kaum Leitfiguren da, und es gibt keinerlei Programme. Die Partei selber ist eine ausgehöhlte Institution, eine leere Hülse der Diktatur. Kein Ort für Reformen.

Die Situation ist auswegslos. Wenn der Aufruhr von Temeswar sich ausbreitet, auf andere Städte übergreift, kann das ganze Land zu einem „Platz des Himmlischen Friedens“ werden: Ceausescu läßt auch Geheimpolizei, Polizei und Armee schießen. Aber: Wie lange können sie es noch? Und dürfen diese zusehen, wo ein Familien-Clan gegen ein ganzes Volk kämpft?

Wer heute noch das Ceausescu-Regime für eine Regierung hält, der verwechselt eine kriminelle Bande mit einer politischen Partei.

Richard Wagner

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