MIT STROMVERSORGUNG AUF DU UND DU: Wer darf Strom liefern?
■ Gutachten: Ost-Regelung ist verfassungswidrig
Bonn (afp) — Die im Einigungsvertrag festgeschriebene Regelung zur Energieversorgung der ostdeutschen Kommunen ist nach einem von der SPD in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten verfassungswidrig. Dem Gutachten zufolge müssen die im August 1990 noch von der DDR-Regierung mit den großen westdeutschen Energieversorgungsunternehmen geschlossenen Stromverträge neu verhandelt und der Einigungsvertrag korrigiert werden, sagte der energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Volker Jung, gestern in Bonn.
Auf Betreiben der westdeutschen Energieunternehmen sei im Einigungsvertrag festgeschrieben worden, daß sich die ostdeutschen Gemeinden mit höchstens 49 Prozent an dem Kapital der inzwischen in Aktiengesellschaften umgewandelten ehemaligen DDR-Bezirkskombinate zur Energieversorgung beteiligen können. Dies habe zur Folge, daß die Kommunen — anders als in Westdeutschland — die örtliche Energieversorgung nicht mehr in eigener Verantwortung entscheiden könnten.
Diese Regelung im Einigungsvertrag ist nach dem Gutachten des Bielefelder Professors Joachim Wieland nicht mit Artikel 28 des Grundgesetzes zur Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar. Dem Grundgesetz zufolge hätten auch alle ostdeutschen Gemeinden grundsätzlich das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eigene Stadtwerke gründen oder die lokale Energieversorgung privaten Unternehmen überlassen wollen. Ein Eingriff in ihr Selbstverwaltungsrecht wäre nur zulässig gewesen, wenn anders eine ordnungsgemäße Energieversorgung nicht gesichert gewesen wäre, betonte Wieland.
Dies sei aber weder im Herbst 1990 noch später der Fall gewesen. Außerdem hätten nur die Länder und nicht der Bund das Recht zu einem solchen Eingriff in die Selbstverwaltung der Gemeinden gehabt. Das Gutachten stützt die Klage von mehr als 160 ostdeutschen Kommunen gegen die Stromverträge vor dem Bundesverfassungsgericht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen