: Wer braucht schon einen Führerschein? Von Ralf Sotscheck
Der Fahrstil war nicht uninteressant. Colm wechselte die Spuren, daß einem angst und bange wurde. Blinken? Ach was, das gehe auf die Birnen. „Und schließlich habe ich ein L-Schild am Auto“, meinte er, „da müssen die anderen mit so etwas rechnen.“ Das L-Schild, das vor einem Lehrling am Steuer warnt, hat er freilich schon seit 14 Jahren am Wagen. Colm hat gar keinen Führerschein, er hat in seinem Leben nicht eine einzige Fahrstunde genommen.
Damit ist er in guter Gesellschaft. Fast ein Viertel aller irischen Autofahrer und -fahrerinnen fährt mit einer provisorischen Fahrerlaubnis. Die kann man beantragen, wenn man 17 ist, selbst wenn man nicht mal über rudimentäre Kenntnisse der Verkehrsregeln verfügt. Der Schein ist zwei Jahre gültig, dann muß man einen neuen beantragen. Theoretisch darf man nur in Begleitung eines Führerscheinbesitzers fahren, doch das gilt nur für die erste, dritte und alle weiteren provisorischen Fahrerlaubnisse. Bei der zweiten darf man auch alleine fahren. Als diese verblüffende Gesetzesregel verabschiedet wurde, war die Mehrheit der Parlamentarier vermutlich im Besitz eines zweiten provisorischen Führerscheins.
Aber es schert sich ohnehin niemand darum, Colm fährt gerade mit seinem siebten Schein. „Warum soll ich die Prüfung ablegen“, meint er, „wenn die Hälfte durchfällt?“ Die Polizei drückt alle Augen zu. Der oberste Dubliner Verkehrspolizist, John O'Brien, sagte vorige Woche, es sei „äußerst unpraktikabel zu kontrollieren, ob jemand mit dem zweiten, dritten oder vierten provisorischen Führerschein fährt“. Angesichts so vieler Sünder habe man den Zeitpunkt längst überschritten, wo man noch eingreifen könnte. Außerdem gebe es keinen Beweis, daß diese Leute schlechter Auto fahren als andere. Da hat er recht. 1979 war die Führerscheinstelle so überlastet, daß man allen Leuten, die sich zur Prüfung angemeldet hatten, kurzerhand die Fahrerlaubnis per Post zusandte, um den Schreibtisch leer zu bekommen.
O'Brien sagt, die Polizei wolle lieber verstärkt gegen Alkohol am Steuer vorgehen. Es gibt Bestrebungen, die zulässige Menge von 0,8 Promille herabzusetzen, möglicherweise sogar auf null. Da hat man aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Der Verband der Kneipenbesitzer malt das Ende des ländlichen Irland an die Wand. Der Präsident John Mansworth sagte: „Das wäre der Sargnagel für die entlegenen Wirtshäuser.“ Und damit auch für das „einzigartige kulturelle Erbe“. Zudem wäre das Opfer völlig nutzlos, gebe es doch keinen einzigen Beweis, daß eine Senkung der Alkoholgrenze tödliche Unfälle verhindern könnte. Einem harten Kern trunkener Fahrer sei es nämlich schnurz, wieviel Alkohol erlaubt ist. Ein generelles Verbot würde die normalen Trinker unnötig hart treffen.
Beistand erhielt Mansworth von Jackie Healy-Rae, dem parteilosen Abgeordneten aus Kerry, der aussieht, als ob er geradewegs aus dem Moor kommt. Führerscheinfreie und betrunkene Fahrer? Healy- Rae hat das wahre Problem des irischen Straßenverkehrs erkannt: Wenn es nach ihm ginge, was es zum Glück nicht geht, würde er die Einfuhr von gebrauchten Autoreifen verbieten. Neulich sei er über einen Nagel gefahren, sagte er, und die gemeingefährliche Importware sei einfach geplatzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen