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Wenn die Welt so einfach wäre...

■ Johann Kresnik läßt an der Volksbühne "Ulrike Meinhof" wiederauferstehen - und bringt sie zum Schweigen

Kennen Sie das Gefühl, das einen beschleicht, wenn man zu viele MTV-Clips begafft? Hohlheit im Hirn und die Gewißheit, alles gesehen und nichts gesehen zu haben. MTV-Videoclips besitzen keine Haltbarkeitsdauer, deshalb gibt es so viele. Sehen, im selben Moment vergessen, und das ruck, zuck! Videoclips flimmern nicht nur über die Mattscheibe, sie irrlichtern auch über Bühnen. Dann etwa, wenn der Choreograph Johann Kresnik Regie führt.

Castorfs Volksbühne, Berlins derzeit populärste Anstalt für Triebabfuhr, an die Kresniks Truppe aller Voraussicht nach zukünftig gastweise gebunden sein wird, läßt nach der Einstandsinszenierung „Rosa Luxemburg“ jetzt für mehrere Wochen Kresniks „Ulrike Meinhof“ wiederauferstehen. Diese 1990 in Bremen uraufgeführte Produktion war damals bereits beim Berliner Theatertreffen zu sehen.

Skizzen der Kresnik-Ulrike gibt es in drei Versionen: Ulrike, die im kommenden Jahr 60 geworden wäre. Ulrike, die, vom linken Willen beseelt, Flugblätter und konkret-Essays verfaßt. Ulrike, die sich in Stuttgart-Stammheim nicht umbringt, sondern Papier frißt und sich die Zunge tranchiert. Sie alle sind zu Titelspenderinnen und Statistinnen degradiert, zu Erfüllungsgehilfinnen eines wütenden Regisseurs, der PDS wählen würde, wenn er als Österreicher dürfte. Und der „die deutsche Geschichte und die verlorenen Utopien“ auf der Bühne fokussieren will.

Leider aber kommen bei „Ulrike Meinhof“ Geschichte und Utopien nur am Rande vor, wenn überhaupt. Statt dessen viel Schablonen- und Requisitentheater, in dem der Staat immer böse und das Linkssein immer gut ist, in dem das Bild mehr zählt als das Wort. So einfach ist die Welt des Johann Kresnik. Wenn die Welt doch nur so einfach wäre.

Grundsätzlich tritt der Staat in Form von SS-Männern auf, die auf Sado-Maso abfahren. Die mit „Deutsche Heimat“ klassifizierte Szene zeigt ein fettes Bayernpaar, das zwischen sich Ulrike erdrückt (symbolisch, symbolisch). „Wir sind ein Volk“-Ossis zucken über den Boden, verschlingen Hamburger im Affenzahn. Es hätten auch Bananen sein können.

Ulrike, die 59jährige, sieht dem Spektakel zu. Und guckt angewidert weg. So also frißt Deutschland heute, denkt sie sich. Und geht. Das Premierenpublikum bleibt. Am Ende applaudiert es zehnmal länger als beim „Rosa Luxemburg“-Debüt. Und weil Kresnik von Klischees nicht genug kriegen kann, sehen wir Heino singen, und Gottlieb Wendehals (sic!) und Katja Epstein („Im Leben, im Leben, geht mancher Schuß daneben“). Zur Reinwaschung von Schuld werden die Eltern der 68er ans Waschbecken bemüht, und wenn nach zwei Stunden eine Wand vor die Bühne gleitet, blicken wir auf Schwarz-Rot-Gold.

Mag sein, daß Kresnik uns was sagen will. Vielleicht hat er ja was zu sagen. Ulrike Meinhof, soviel steht fest, hat er zum Schweigen gebracht. Thorsten Schmitz

„Ulrike Meinhof“ von Johann Kresnik, Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz, Mitte. Weitere Aufführungen am 23. und 24.November, 19.30 Uhr.

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