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■ Wenn die Bündnisgrünen 1998 nicht an die Regierung wollen, geben sie jede Reformhoffnung auf. Ein Antwort auf Jürgen GottschlichWann, wenn nicht jetzt?

Seit die bundesdeutsche Linke denken kann, war sie immer in der Opposition. Jetzt, da sich dieser Zustand seinem Ende nähert, spürt man, wie kuschelig diese Lage war. Wir konnten nach Herzenslust schimpfen, uns zu unseren Idealen bekennen, an unseren Modellen für eine bessere Welt feilen – und jetzt droht nichts als „professionelle Politikverwaltung“ (so Jürgen Gottschlich in der taz). Schlimmer noch: Die Bündnisgrünen könnten kein einziges Reformprojekt durchsetzen. Also noch vier Jahre warten, feilen und sich empören, dann aber wird uns die Sozialdemokratie – geläutert durch die Große Koalition – wie ein reifer Apfel in den rot-grünen Schoß fallen.

Schon diese Erwartung, die Gottschlich offenbar hegt, scheitert an der Realität: Vier Bundesländer sind durch eine Große Koalition regiert, aus keinem wird berichtet, dieser mißliche Umstand habe die SPD in die Arme der Grünen getrieben.

Natürlich ist der Umgang mit der SPD schwierig. So what? Das Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und Grünen ist seit deren Gründung spannungsgeladen. Schließlich entstanden die Grünen aus der Opposition zur SPD. Eine andere SPD als diese werden wir nicht kriegen. Woher soll in vier Jahren eine gewandelte, ja sogar linkere SPD kommen, wenn sie in der Zwischenzeit mit den Dinosauriern der CDU zusammen den Stillstand organisiert?

Wem also die SPD nicht gefällt, der muß sich entweder ganz andere Optionen eröffnen (mit den Schwarzen etwa?) oder sich für weit länger als weitere vier Jahre in der Opposition einrichten. Eine niederschmetternde Vorstellung. Die konservative Regierung ist am Ende, keine Reform gelingt ihr, die Arbeitslosigkeit auf einem historischen Höchststand, die Staatsverschuldung auch, Sozialversicherungsbeiträge und Steuern steigen und steigen und steigen ... ökologische Politik auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben, Bürgerrechtspolitik abgeschrieben. Und die Linke sagt: Tut uns leid, damit werden wir auch nicht fertig, sollen die anderen das Land lieber noch weiter in die Krise treiben.

Mit einer solchen Wahlaussage können die Bündnisgrünen auch direkt zur Wahl der anderen Parteien aufrufen. Das Land giert nicht nach kämpferischen Oppositionsreden gegen eine Große Koalition, das Land sehnt sich nach einer Wende in der Politik.

Jürgen Gottschlich meint, daß uns eine andere Politik ohnehin nicht glücken wird. Jedes große Reformprojekt werde entweder an der Bevölkerung, der Wirtschaft, den knappen Kassen oder den Sozialdemokraten scheitern. Aber konnten wir je davon ausgehen, eine alternative Politik sei im Spaziergang durchsetzbar?

Jetzt werden unsere politischen Projekte aus dem Labor entlassen. Wir haben ein Jahr Zeit, dafür zu werben und zu streiten – wenn uns das nicht gelingt, werden wir erst gar nicht den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Noch ist die bündnisgrüne Programmdebatte viel zu stark geprägt von innerparteilicher Selbstverständigung. Der Programmentwurf richtet sich stärker an uns selbst als an die Menschen, die wir für unsere Politik gewinnen wollen.

Aber der Weg dorthin ist richtig. Denn zur ersten bündnisgrünen Regierungsbeteiligung im Bund gehört auch eine Klarheit über Umfang und Grenzen der Durchsetzbarkeit grüner Positionen. Die jetzt wieder aufscheinende Kontroverse über bündnisgrüne Politik zwischen Opportunismus und Utopismus stellt eine falsche Alternative zur Debatte. Mit Recht erwartet die Bevölkerung von uns konkrete Aussagen. Und ebenso erwartet sie von uns, daß wir eigenständige Politik machen, unverwechselbar mit den anderen politischen Kräften. Aber Eigenständigkeit bündnisgrüner Politik erweist sich nicht an ihrem möglichst utopischen Gehalt, sondern daran, daß sie von grünen Werten und Zielen getragen ist.

Rot-Grün ist keine Veranstaltung, in der die Bündnisgrünen fürs Visionäre und die Sozialdemokraten fürs Realistische zuständig sind. Mit dieser Art von erzieherischem Verhältnis muß Schluß sein. Koalitionspartner müssen auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Die Sozialdemokraten sind nicht realitätstauglicher als die Bündnisgrünen, bloß weil sie einfach vor dem Widerstand der Wirtschaft gegen die Ökosteuern einknicken. Währenddessen haben die Grünen längst begonnen, mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden zu sprechen, wie die Übergangsprobleme gelöst werden können. Wenn sie die Widerstände überwinden, tun sie viel mehr für eine realistische Perspektive des ökologischen Umbaus als eine mutlose Sozialdemokratie. Das wird die Rolle der Bündnisgrünen sein: Die Modernisierung voranzutreiben, indem sie zeigen, daß in der Krise nicht das Festhalten am Bestehenden angesagt ist, sondern dessen Veränderung.

Niemand macht sich Illusionen darüber, welche Hypothek eine rot-grüne Regierung zu übernehmen hätte. Wir werden noch Waigelsche Löcher entdecken, die wir in unseren schlimmsten Alpträumen nicht gesehen haben. Wir müssen eine Arbeitsgesellschaft im Umbruch gestalten, wir müssen die soziale Sicherung wieder attraktiv machen, wir müssen die Ökologie wieder auf die Tagesordnung setzen. Zweifellos: Wir müssen da weitermachen, wo Kohl aufgehört hat.

Natürlich würde es das Regieren leichter machen, wenn wir die gefüllten Kassen vom Anfang der achtziger Jahre hätten. Aber was ist mit unserer Wachstumskritik? War es je unsere Perspektive, daß wir immer mehr haben wollten? Ist dann nicht eine nachhaltige Finanzpolitik, die den Schuldenabbau und die Begrenzung der Ausgaben ins Visier nimmt, viel mehr als nur Schadensbegrenzung, sondern Umsetzung einer grünen Politik, die die Grenzen des Wachstums aus ökologischen Gründen berücksichtigt?

Nein, hier wird nicht im Wald gepfiffen. Die Handlungsspielräume der rot-grünen Bundesregierung werden eng sein. Sozialdemokraten und Bündnisgrüne sind kein Traumpaar, sondern eine Zweckgemeinschaft. Aber das ist kein Grund aufzugeben. Wir müssen beweisen, daß wir es besser können. Denn das haben die Wahlen 1990 und 1994 gezeigt: Der Überdruß an der bestehenden Regierung ist nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für einen Wahlsieg der Opposition. Wenn es ihr nicht gelingt, die Menschen davon zu überzeugen, daß sie es besser kann, dann werden diese seufzend und maulend dem Altbekannten den Vorzug vor dem Experiment geben. Andrea Fischer

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