piwik no script img

Wenn der Staat nicht hilft

Die „Umweltrechts-klinik“ der Universität Bremen versucht dem trockenen Studium mehr Praxisbezug zu verleihen und nebenbei Initiativen praktisch zu unterstützen, die für den Umweltschutz kämpfen

Auch ein Thema für Studierende der „Umweltrechtsklinik“: Reparaturcafés und Haftungsfragen Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Von Marie Gogoll

Dem Ju­ra­stu­dium eilt ja oft ein schlechter Ruf voraus. Dann ist von grauen Aktentaschen, von Krawatten und Bleistiftröcken die Rede, von abgekauten Fingernägeln, persönlichen Sinnkrisen und früh ergrauten Haaren. Stress und Leistungsdruck sind enorm. Und nicht nur das lässt die Rechtswissenschaft oft so abschreckend wirken. Das Jurastudium gilt schließlich als ganz furchtbar trocken.

Das sagt sogar jemand, der den Rechtswissenschaften sein ganzes akademisches Leben gewidmet hat. Gerd Winter ist Forschungsprofessor für öffentliches Recht an der Universität Bremen und wünscht sich, wie er es formuliert, „mehr Realitätskontakte im Jurastudium“. Deshalb hat er im vergangenen Sommer die sogenannte „Umweltrechtsklinik“ ins Leben gerufen.

Die Studierenden, die daran teilnehmen, setzen sich nicht länger nur mit irgendwelchen ausgedachten, sondern mit ganz realen Fragestellungen auseinander. In der „Umweltrechtsklinik“ bearbeiten sie rechtliche Fragen, die sich aus der Arbeit von Kimaschutzinitiativen ergeben. Der Name des Projekts leitet sich von den in den USA verbreiteten „Law Clinics“ ab. Das sind Initiativen von Studierenden, die eine niedrigschwellige Rechtsberatung anbieten.

Ein wenig irreführend sei der Name allerdings schon, gibt Gerd Winter zu. Die Studierenden der Umweltrechtsklinik geben nämliche gar keine Rechtsberatung, denn dafür braucht man in Deutschland auf jeden Fall das zweite Staatsexamen, man muss also ein Volljurist sein. Im Wintersemester 2020/21 haben etwa zehn Studierende bei der Umweltrechtsklinik mitgemacht.

Im Rahmen des Projekts erörtern die Studierenden die Rechtsfragen in der praktischen Arbeit von Kilmaschutzinitiativen und halten ihre Ergebnisse dann in einem Bericht fest. So ist es zwar keine explizite Rechtsberatung, trotzdem können sich Initiativen vor Ort an den Ausarbeitungen der Studierenden orientieren – denn die gibt es frei verfügbar auf der Website der Bremer Uni. Bisher stehen dort sechs Ausarbeitungen, die sich etwa den „juristische Herausforderungen im Hinblick auf Tiny Houses“ widmen oder dem Interessenkonflikt zwischen den ökonomischen Interessen des Bremer Carsharing-Anbieters „Cambio“ und dem Umweltschutz.

Die Studentin 
Alina Noglik hat eine 24-seitige Arbeit über die „Weiterentwicklung von Reparatur- und Re-Use-Initiativen im Kampf gegen die Obsoleszenz“ geschrieben und dafür mit dem Reparaturcafé Oldenburg über deren rechtliche Fragen gesprochen. Da die Nachfrage dort in den letzten Jahren enorm gestiegen ist, plant der Reparaturrat Oldenburg die Eröffnung eines größeren „Ressourcenzentrums“. Dort sollen dann nicht nur ehrenamtliche, sondern festangestellte Menschen arbeiten und Reparaturen zu regulären Öffnungszeiten anbieten. Außerdem wird dann nicht mehr nach dem Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe gearbeitet, also Unterstützung für eine selbstständige Reparatur geleistet, sondern Reparaturen werden stattdessen als herkömmliche Dienstleistung angeboten. 


Für die Frage der Haftung für die Reparaturleistung mache das einen erheblichen Unterschied, sagt Alina Noglik. Das hat sie in ihrem Bericht genauer untersucht und legt dort dar, wie das Reparaturcafé seine Werkverträge gestalten sollte, um eine ausufernde Haftung zu vermeiden. Vergleichbare Arbeiten über andere Initiativen haben auch ihre Kom­mi­li­to­n*in­nen verfasst.

Alina Noglik hat sich über die Gründung der Umweltrechtsklinik gefreut. Sie mag ihr Fach und die Begeisterung für ihr Studium ist ihr sichtlich anzumerken. Dennoch meint auch sie: „Das Jurastudium könnte mehr Praxisbezug vertragen.“ Doch das Projekt dient natürlich nicht nur der Verbesserung der Lehre durch einen höheren Praxisanteil. Gerd Winter und die Studierenden aus der Umweltrechtsklinik wollen damit auch einen echten Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Wir brauchen juristische PraktikerInnen, die sich nicht nur auf den Staat verlassen

Dass sich Professor Winter mit seiner Rechtsklinik ausgerechnet dem Umweltrecht widmet, ist kein Zufall. Der 78-Jährige hat nicht nur als Junge gern Vögel beobachtet und sich selbst für die Umwelt engagiert. Auch sein gesamtes berufliches Leben wird vom Umweltrecht bestimmt. Er hat bereits viele Verfahren gegen große umweltschädigende Projekte juristisch begleitet, etwa jenes um die „Europipe“ genannte Pipeline durchs Wattenmeer.

Auch die Umweltrechtsklinik arbeitet natürlich im Dienste des Umweltschutzes, verfolgt jedoch einen anderen Ansatz als die großen Prozesse, die Gerd Winter aus seiner Juristenlaufbahn kennt. „Das Umweltrecht wird meistens als Instrument gelehrt, um mithilfe des Staates Umweltprobleme zu beseitigen“, sagt Winter. Das sei auch gut und wichtig, meint der Jurist, „aber es gibt eben auch Initiativen, die nicht auf staatliches Handeln warten, sondern sich selbst überlegen, wie sie die Klimakrise bekämpfen können und dann einfach mal anfangen“. Da geht es dann beispielsweise um neue Wohnformen, um Klimawerkstätten oder das rechtlich umstrittene ‚Containern‘, um Hofläden oder die Rückgewinnung zugeparkter Straßen für Kinder und Öffentlichkeit.

Solche Initiativen würden häufig auch mit rechtlichen Konflikten konfrontiert, so Winter. Dass sich angehende Ju­ris­t*in­nen nicht nur für die großen Klageverfahren, sondern auch für die Probleme solch kleinerer Umweltschutzinitiativen interessieren, ist ein Ziel der Umweltrechtsklinik. „Wir brauchen mehr juristische Praktikerinnen und Praktiker, die verstehen, in welcher Krisensituation wir uns durch die Umweltprobleme befinden und sich nicht nur auf den Staat verlassen“, so Winter. Alina Noglik hat das schon verstanden. „Umweltschutz durch staatliche Vorgaben zeigt sich ja bisher eher als defizitär“, meint sie. „Es ist deshalb klar, dass wir auch auf Bottom-up-Initiativen angewiesen sind.“ Also auf Engagement, das nicht vom Staat ausgeht, sondern von der Zivilgesellschaft.

Noglik kann sich gut vorstellen, nach ihrem Studium selbst in diesem Bereich zu arbeiten und dann etwa Umweltschutzinitiativen professionell zu beraten. Es scheint also, als würde das Projekt der Bremer Universität nicht nur das Jurastudium aufpeppen, sondern tatsächlich auch dem Klimaschutz dienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen