Wenn beim Kinderkriegen nachgeholfen wird: "Ich wollte auch mal"
1,4 Millionen Menschen sind hierzulande ungewollt kinderlos. Manche wenden sich an die Reproduktionsmedizin. Ein Paar erzählt von seinen Erfahrungen und Empfindungen.
1,4 Millionen Menschen im Alter zwischen 25 und 59 Jahren in Deutschland sind laut einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung ungewollt kinderlos, obwohl sie über ein Jahr lang eine Schwangerschaft versucht haben.
Eine genaue Zahl, wie viele Paare ihrem Kinderwunsch mit Reproduktionsmedizin nachhelfen, gibt es nicht. Rund 60.000 Behandlungen zählte die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe im Jahr 2006, nicht wenige Frauen lassen sich mehrfach behandeln.
Nicht einmal zehn Prozent dieser Behandlungen führten 2006 zum Ziel. Über die individuellen Erfolgsaussichten sagt die Zahl jedoch nichts aus. Je jünger und je weniger Hindernisse bei Frau und Mann bestehen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen. Keinen Einfluss hat die Psyche auf eine Schwangerschaft: Studien haben gezeigt, dass es völlig egal ist, ob eine Frau gestresst oder entspannt ist.
Die Kosten für die Behandlungen übernehmen die gesetzlichen Versicherungen nur zur Hälfte und nur für Frauen zwischen 25 und 40 Jahren. Je nach Methode und abhängig davon, ob beide Partner behandelt werden, fallen pro Versuch bis zu 1.500 Euro Eigenanteil an.
Am günstigsten sind Inseminationen: Dabei wird meistens die Eizellenproduktion hormonell stimuliert, Spermien per Kanüle injiziert. Weitaus häufiger sind In-vitro-Fertilisationen (IVF) oder Intrazytoplasmatische Spermieninjektionen (ICSI): Bei beiden Methoden findet die Befruchtung außerhalb des Körpers statt. EIB
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UTE und FRANK MEYER, 41 bzw. 45, heißen in Wirklichkeit anders. Sie sind seit sieben Jahren ein Paar und leben in einer norddeutschen Großstadt. Beide arbeiten in einem großen Dienstleistungsunternehmen, sie in leitender Position. Seit sechs Wochen haben sie ein Pflegekind.
Ute Meyer: Für mich war immer klar, dass ich schwanger werde. Als ich 36 war, haben wir aufgehört zu verhüten - und nachdem wir es zwei Jahre erfolglos versucht haben, haben wir es mit künstlicher Befruchtung probiert.
Frank Meyer: Im Nachhinein frage ich mich, ob wir das gemacht hätten, wenn uns vorher klar gewesen wäre, was das bedeutet, und wie niedrig die Chancen sind, dass wir wirklich ein Baby bekommen. Aber wahrscheinlich muss man das ausblenden, sonst macht man es nicht. Wenn es geklappt hätte, wäre im Nachhinein alles egal gewesen. Zum Beispiel der Arzt, der mir auf die Schulter haute mit den Worten: "Ich habe heute sieben Frauen schwanger gemacht, Ihre schaffe ich auch noch."
Ute: Man erträgt einiges, weil man nur an das große Ziel denkt. Bevor es losging, wurde ich künstlich in die Wechseljahre versetzt. Ich hatte an der Gebärmutter kleine Wucherungen, die operiert wurden, das haben einige Frauen. Die Hormone bekam ich hinterher - um die Entzündungsherde auszutrocknen, hieß es.
Frank: Das war keine einfache Zeit. Ich musste ziemlich viel aushalten, weil Ute wegen der Hormone große Stimmungsschwankungen hatte. Parallel musste ich ebenfalls Medikamente nehmen. Meine Spermaprobe war nicht so doll.
Ute: Als ich im Herbst 2005 andere Hormone bekommen habe, die ein schönes Ei heranwachsen lassen sollen, habe ich gedacht: Jetzt sind die Hindernisse weg, jetzt können wir richtig loslegen! Das habe ich eigentlich nach jedem Schritt gedacht.
Frank: Wir haben genau ausgerechnet bekommen, wann wir miteinander schlafen sollten, wann das Ei befruchtungsfähig sein würde. Wir hatten früher schon Tage geplant, an denen sich Sexualität abspielen soll, jetzt ging es um Stunden. Das heißt, dass ich schon mal früher von der Arbeit gekommen bin. Mit Lust hatte Sex zu dieser Zeit nichts mehr zu tun.
Ute: Da haben wir es aber noch sportlich genommen.
Frank: Stimmt, es ging immer noch schlimmer. Anfang 2006 haben wir uns an eine Kinderwunschklinik gewandt.
Ute: Dort ging es zu wie am Fließband, die Wände waren mit Kinderbildern gepflastert. Wie Trophäen. Erklärt hat man uns nichts, man hat uns nur suggeriert: "Das kriegen wir schon hin und Sie nehmen jetzt mal das und das und das ein." Sie wollten es mit Insemination versuchen, ich bekam also wieder Hormone für schöne Eizellen und sollte die Spermien gespritzt bekommen. Wir sind extra nicht in Urlaub gefahren, weil wir aus familiären Gründen nicht sofort loslegen konnten und keinen weiteren Zyklus verstreichen lassen wollten. Im August 2006 war es so weit - dachten wir jedenfalls. Das Ei war groß genug, doch dann kam der Anruf: "Die Spermaprobe können Sie vergessen."
Frank: Mir wurde gesagt, dass die Spermaqualität sehr schwanken kann. Im September war der nächste Versuch. Damals dachte ich, mit der Kanüle, in der meine Spermien drin sind, werden unsere Probleme erledigt.
Ute: Dabei standen wir immer noch ganz am Anfang. Ich bekam meine Tage, und wir haben die Klinik gewechselt, in einer anderen Stadt. Wir haben uns dort sehr wohl gefühlt, mussten etwas unterschreiben, wo sinngemäß drinstand, wir verstehen, dass die Ärzte nicht zaubern können. Man hat uns gleich gesagt: "Insemination können Sie vergessen." Die Befruchtung sollte außerhalb des Körpers stattfinden. Wegen der Weihnachtsfeiertage mussten wir wieder einmal warten, bis wir mit der ICSI-Behandlung beginnen konnten. Dann gab es ein Riesenpaket mit Medikamenten. Man kommt sich vor wie ein Junkie. Erst die Spritzen, um die Eizellenproduktion anzukurbeln, dann die Auslösespritze für den Eisprung, die zu einer exakt berechneten Uhrzeit dran ist: Sonntag um 23 Uhr, das weiß ich noch genau. Die Spritzen musste mein Mann setzen, ich steche mir nicht in den Bauch. Am Dienstagmittag wurden mir unter Vollnarkose acht Eibläschen entnommen, drei davon stellten sich als befruchtungsfähig heraus.
Frank: Ich durfte währenddessen für die Spermaprobe in einem speziellen Zimmer Platz nehmen. Da stand ein Ledersofa, und es lief ein Film.
Ute: Ich war mir so sicher, dass es jetzt klappt. Aber als wir zu Hause aus dem Bahnhof gingen, kam der Anruf: "Es ist leider nichts befruchtet." Ich hatte das Gefühl, etwas von mir in der anderen Stadt gelassen zu haben. Was machen die mit unseren Eizellen und unserem Sperma?, habe ich gedacht.
Frank: Meine Frau ist weinend zusammengebrochen, und ich habe nur noch funktioniert, habe zugesehen, dass ich sie so schnell wie möglich nach Hause bekomme. Vorwärts leben, rückwärts verstehen, würde ich das nennen.
Ute: Mir war vorher schon geraten worden, mir eine Krankschreibung für die Woche zu besorgen. Es hieß, dass das alle so machen. Aber wie heftig das sein würde, hatte ich mir nicht vorstellen können. Die Hormone fallen nach einer erfolglosen Behandlung rapide ab, es geht dir nur noch dreckig. Seelisch war ich in einem tiefen Loch, ich habe gedacht, ich habe einen Makel. Dass es Frühling wurde, machte es noch schlimmer. Alle Tiere bekommen das hin, nur ich nicht. Es waren immer irgendwelche Frauen schwanger, meine Schwester gerade mit dem vierten Kind. Ich fand das so unfair. Jetzt lasst mich doch mal, ich bin dran, habe ich gedacht. Dennoch habe ich das relativ schnell als Misserfolg weggebucht und weitergemacht.
Frank: Den zweiten Versuch haben wir abgebrochen, weil die Eier zu klein waren. Wenn der gescheitert wäre, hätten wir einen dritten nicht bezahlt bekommen.
Ute: Der war im Mai 2008, kurz vor meinem 40. Geburtstag. Ab 40 zahlt die Kasse nicht mehr. Es war also unser letzter Versuch, die Hormongaben waren noch stärker als zuvor, wir haben wieder Ausreden gefunden, warum man nicht arbeiten kann, wir mussten ja immer in die andere Stadt fahren. Dieses Mal waren es zwar nur zwei befruchtungsfähige Follikel, aber wir bekamen die Nachricht, dass die Befruchtung eingetreten ist. Ab da war für mich alles Roger. Am 11. Mai sollte der Embryonentransfer sein, es war nur einer übrig geblieben, weil der andere irgendwelche Schäden hatte. Während des Transfers lief klassische Musik, es war wie eine Zeremonie, ich hatte das Gefühl, hier passiert etwas ganz Tolles. Auf einem Bildschirm konnten wir verfolgen, wie in einem anderen Raum die befruchtete Zelle in die Kanüle gezogen und anschließend an den Arzt überreicht wurde. Ich hatte das Gefühl, mir wird etwas zurückgegeben, und fühlte mich superschwanger, wie eine Königin. Das Glück dauerte eine Woche. Als ich das Blut im Slip gesehen habe, ist alles zusammengebrochen, der Strohhalm war weg.
Frank: Ich habe noch am Abend vor dem Schwangerschaftstest bei einer Psychotherapeutin angerufen, die Paare mit Kinderwunsch berät. Ich bin überhaupt nicht der Typ für so etwas, aber in dem Moment war mir klar: Das schaffen wir nicht alleine.
Ute: Auch bei der Therapeutin hingen Babyfotos, worüber ich mich erst wahnsinnig geärgert habe. Ich dachte: Was soll ich denn hier? Jetzt bin ich froh, dass wir das gemacht haben. Ich habe mich so wertlos gefühlt, als ob ich durchsichtig wäre, als ob mich niemand sehen würde. Die Therapeutin hat mich gesehen. Sie hat mir geraten, mich als "ungewollt kinderlos" zu bezeichnen, das konnte ich annehmen. Von alleine wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass ich mich so elend fühlen darf, aber sie hat mir klargemacht, dass ich mich nicht von Frauen unterscheide, die eine Fehlgeburt erlitten haben. Das habe ich später auf der Arbeit erzählt, um zu erklären, warum ich in der ganzen Zeit so viel gefehlt habe und es mir so schlecht ging.
Frank: Wir haben nur mit sehr wenigen Leuten gesprochen, bei denen wir dachten, dass es gut aufgehoben ist. Dabei sind Freundschaften zerbrochen. Ein Bekannter sagte zu Ute: "Soll ich mal?"
Ute: Und eine Freundin: "Man soll der Natur nicht ins Handwerk pfuschen."
Frank: Ich glaube, das Thema ist für die meisten sehr weit weg, weil unsere Generation die erste ist, die diese Möglichkeiten hat.
Ute: Es tut weh, darüber zu reden, man ist ja erfolglos geblieben. Dabei gibt es so viele, denen das passiert. Nur wo sind die alle? Auch in der Selbsthilfegruppe sind wir ganz wenige, wahrscheinlich, weil schon die Behandlung so teuer ist, und die Kassen nichts für eine therapeutische Nachbehandlung zahlen. Die Frauen in der Gruppe sind alle so wie ich, haben eine gute Ausbildung und verdienen gutes Geld. Aber das eine Glück, das ich so gerne hätte, kann ich nicht kaufen. Mittlerweile frage ich mich, warum wir uns das eigentlich antun - zehn Stunden Arbeit am Tag.
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