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Wenn abgeschnittene Finger Zugang schaffenDie blutigen Folgen der Biometrie

Neue Technologien, die das Leben einfacher und sicherer machen sollen, bringen auch neue Formen der Kriminalität mit sich. Verbraucher wollen davon aber häufig nichts wissen.

Ein Mitarbeiter der Biometrie-Firma Dermalog demonstriert den Gebrauch eines Lesegerätes für Fingerabdrücke auf Pässen. Bild: dpa

Journalisten wurden von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern bespitzelt. Aus den Handydaten von Managern bastelten Konzernspäher Bewegungsprofile. Hundertausendfach werteten T-Spione aus, mit wem bestimmte Medien telefonierten. Vor solchen Szenarien haben Datenschützer stets gewarnt, zumeist wurden sie als Wunderlinge verlacht. Nun sieht es so aus, als hätten die Irren Recht behalten.

Ein Grund zum Jubeln ist das nicht. Aber ein Anlass für all jene, die Datenschutz für eine Possierlichkeit halten, sich zweierlei zu vergegenwärtigen: 1. Wenn es Menschen gibt, die bestimmte Interessen verfolgen, dann werden sie für ihre Ziele die Sicherheitslücken der Informationstechnologie ausnutzen. 2. Überwachungstechniken können statt mehr Sicherheit auch mehr Risiken schaffen.

Wenn also Datenschützer über abgeschnittene Finger reden, sollte ihnen künftig vielleicht mehr Aufmerksamkeit zuteil werden. Die Geschichte vom Verlust des Zeigeglieds geht so: Die Biometrie-Industrie feiert sich gerade selbst, weil sich die Nutzer von immer mehr Zoos und Schulbibliotheken per Fingerabdruck ausweisen. Die Datenschützer warnen: Wenn Biometrie künftig die universelle Zugangstechnik wird, dann weckt dies Begehrlichkeiten - beispielsweise bei Kriminellen. Was passiert künftig, wenn diese nicht wie bisher die Sparkassencard und den PIN brauchen, um an Geld aus dem Automaten zu klauen. Sondern einen Finger. Könnte blutig werden.

Normalerweise beginnt nun das allgemeine Augenrollen und Stirnrunzeln. Warum eigentlich? Es gibt ein Interesse: Geld. Es gibt vielleicht in Zukunft einen einfachen Weg, es zu bekommen: Finger ab. Wieso sollte ein Krimineller nicht auf den Gedanken kommen, so etwas zu tun? Bei der Telekom war es nicht anders. Es gab ein Interesse herauszufinden, wer Informationen aus dem Unternehmen an Journalisten weiterreichte. Und der Konzern nutzte einfach die Möglichkeiten. Eine Technik, die eigentlich die Sicherheit für die Menschen erhöhen sollte, hat ihnen stattdessen geschadet.

Demgegenüber steht jedoch eine faszinierende Ignoranz. Laut einer neuen Umfrage des Forsa-Instituts vertrauen 61 Prozent der Befragten dem Konzern trotz seines detektivischen Engagements weiter. Geht es um Datenvergehen, dann sind viele Menschen zu einem steten Rückzug hinter immer neue innere Frontlinien bereit. Die erste heißt: Das ist doch absurd und wird nicht passieren. Wenn es dann doch geschieht, heißt die zweite: Ja, denen passiert das, aber warum sollte es Menschen wie mich treffen? Und die dritte: Ja, es ist zwar anderen wie mir passiert, aber die haben das schließlich verdient. Ein Grund dafür ist die Unsichtbarkeit der Überwachung.

In früheren Zeiten war Bespitzelung sinnlich erfahrbar - oder doch zumindest vorstellbar. In der DDR schauten die Stasi-Spione bei ihren Klienten immer wieder mal vorbei. Als es in der Bundesrepublik gegen die Volkszählung ging, hatten die Menschen staatliche Befrager vor Augen, welche an der Haustür privateste Dinge von ihnen wissen wollten. Aber Worte wie Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung sind abstrakt. Verbindungsdaten und Spähprogramme haben kein Gesicht. Um die gegenwärtigen Überwachungsmöglichkeiten hinzubekommen, hätten Geheimpolizeien früher riesige Gebäude errichten müssen. Heute reichen dafür ein paar Festplatten und einige Spezialisten. Digitale Überwachung ist eine Wolke. Sie ist da, aber man kann sie nicht anfassen.

Angesichts dessen Ohnmacht zu empfinden, ist normal. Diese Ohnmacht als Pragmatismus und Vernunft zu tarnen wohl auch. Die bisher durch die Datenschützer gezeigten Auswege beruhen oft auf einem unbefriedigenden Tauschgeschäft: Freiheiten, die durch die Technik gerade erst gewonnen wurden, sollen nun wieder abgegeben werden.

Eine bequeme Lösung für das Dilemma ist nicht in Sicht. Am erfolgversprechendsten gegen die digitalen Gefahren ist immer noch ein Mittel des Analogzeitalters: der politische Protest. Die versprengte Datenschutzszene in Deutschland hat es mit ihren Demonstrationen und Klagen vor Gericht geschafft, dass Sicherheitsgesetze nicht so umfassend ausfielen wie geplant.

Wenn Überwachung eine Wolke ist, dann ist der derzeitige Skandal der saure Regen. Er zeigt, dass es im Interesse von mehr als nur ein paar Spinnern ist, sich mit den Möglichkeiten der neuen Überwachungstechnik auseinanderzusetzen. Und sich dann dagegen zu wehren.

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