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Wem gilt der neue Mafia-Kriegszug?

■ Neffe des Aussteigers Buscetta ermordet / Acht Tote in einer Woche / Bandenkrieg oder Ablenkungsmanöver?

Palermo (taz) – Schon im Altertum galt der Ausspruch: Während man in Rom diskutiert, fällt Sagunt in die Hände der Feinde. „Den Satz möchte“, so La Sicilia, „derzeit das italienische Machtkartell mit aller Gewalt erneut realisieren.“ Wohl wahr. Jedenfalls streiten sich in Rom die Parteien mit Inbrunst um die Verabschiedung eines Nachtragshaushaltes, während gleichzeitig in Sizilien ein neuer Mafiakrieg von einer Heftigkeit entbrannt ist, daß auch besonnene Experten wie der Parlamentsvizepräsident und frühere Vorsitzende der Antimafiakommission, Luciano Violante, „einen Mord an einem hochrangigen Repräsentanten des Staates in nächster Zeit für durchaus möglich“ halten.

Doch der italienischen Rechten um den im Dezember gestürzten Medienzaren Silvio Berlusconi und der neofaschistischen Nationalen Allianz geht es im Parlament vor allem um die Wiedergewinnung der Macht. Noch immer hoffen sie, durch Verweigerung die Technokraten-Regierung des ehemaligen Notenbankdirektors Lamberto Dini zu stürzen und Neuwahlen zu erzwingen. Das freilich würde zunächst weitere zwei Monate Paralyse bedeuten.Die Mafia hat dies sehr genau erkannt, und so hat sie die „pax mafiosa“, den von ihr ausgerufenen Frieden im Gefolge der massiven Repressionsmaßnahmen des Staates nach den Morden an den Ermittlern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992, nun widerrufen. Bisher prominentestes Opfer: der Neffe des ersten großen Aussteigers der Mafia, Tommaso Buscetta. In den letzten fünf Tagen sind acht Menschen bei derlei Überfällen ums Leben gekommen, die letzten beiden gestern.

Die Hintergründe des neuen Bandenkrieges sind unklar. Einige Ermittler vermuten ein Shoot-out um neue oder alte Märkte, andere eher „Warnungen“ an die Aussteiger, die sich als Kronzeugen zur Verfügung gestellt haben. Auch um einen Generationenkonflikt könnte es sich handeln – die alten Garden, von denen viele im Gefängnis sitzen, rächen sich an jenen, die sie vermeintlich an die Justiz ausgeliefert haben, und sie räumen allzu aufstiegswillige Nachrücker „draußen“ aus dem Weg.

Mafiahistoriker wie der Soziologe Pino Arlacchi verweisen jedoch auch auf Parallelen mit früheren Vorgängen: Immer wieder inszenierte die Mafia ein wahres Feuerwerk von Morden auf Sizilien – und erst viel später erkannten die Behörden, daß es sich dabei um genial organisierte Ablenkungsmanöver handelte. So banden die Clans in den Jahren 1979–82 nahezu alle Polizeikräfte auf die Insel, indem sie mehr als tausend Menschen ermordeten und dabei auch höchste Administratoren und Politiker erschossen. Mittlerweile ist klar, daß hier auch die Absicht mitspielte, die gerade anlaufenden Enthüllungen über die Hintergründe der Anschläge rechtsterroristischer Gruppen zu blockieren oder zu verschleppen, etwa die über das Attentat auf die Landwirtschaftsbank in Mailand 1969 (17 Tote), den Schnellzug Italicus (12 Tote) oder auf den Bahnhof von Bologna 1980 (85 Tote) – was auch gelungen ist: Bis heute gibt es darüber keine Klarheit.

Hinter vorgehaltener Hand spielen die Ermittler denn auch bereits eine weitere Version durch: Die Morde auf Sizilien könnten auch das Ziel haben, die noch immer laufenden Antikorruptionsermittlungen in Ober- und Mittelitalien zu blockieren – ein Anliegen, das auch die gestürzte Rechtsregierug Berlusconis verfolgt hatte. Werner Raith

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