Weltkriegs-Hinterlassenschaften: Munition vergiftet die Ostsee
Rostende Fässer mit chemischen Kampfstoffen belasten das Meer vor der deutschen Ostseeküste zunehmend. Das Gift gelangt auch in die Nahrungskette.
Verseuchte Muscheln und Fische sind die Folge, wie Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Fischereiökologie und des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven am Donnerstag berichteten. Drei Jahre lang hatten internationale Wissenschaftler im Projekt „Daimon“ die Risiken, die von den versenkten Kampfstoffen ausgehen, erforscht.
Rund 1,6 Millionen Tonnen Waffen aus Weltkriegszeiten lagern vor norddeutschen Küsten, etwa ein Fünftel in der Ostsee, der größte Teil in der Nordsee. Konventionelle Bomben, Minen und Granaten sind darunter, aber auch chemische Kampfstoffe: Senfgas, Arsen, TNT und anderes mehr.
30 offizielle Areale, in denen Munition verklappt wurde, sind auf den Seekarten eingetragen, auf etwa zwei Dutzend weiteren Flächen werden giftige und explosive Reste vermutet. „Das Problem wird größer, je mehr die Metallhüllen der Kampfmittel wegrosten“, sagte der Toxikologe Edmund Maser.
Jeder vierte Fisch mit Tumor
Ein besonders bedrohtes Gebiet ist die Kolberger Heide in der Kieler Bucht direkt vor den Urlauberhochburgen Kalifornien und Brasilien. In diesem Munitionsversenkungsgebiet untersuchten die Wissenschaftler die Kliesche, einen zu den Schollen zählenden Plattfisch. Bei einem Viertel der Tiere wurden Lebertumore gefunden, sagte Thomas Lang vom Thünen-Institut, in unbelasteten Gebieten habe die Rate bei knapp fünf Prozent gelegen.
In einem anderen Feldversuch wurde in Muscheln aus belasteten Gebieten ein 50-fach höherer Eintrag von chemischen Substanzen. Das Ergebnis verdeutliche, dass die Gefahr durch den Altersprozess bei den Munitionen künftig steigen werde. Giftige Substanzen könnten ungehindert austreten. Dies führe zu einer Gesundheitsgefährdung der Meerestiere und über den Fischfang auch für den Verbraucher.
Was zu tun ist, sagten die Wissenschaftler auch. Sie haben eine Toolbox zur Einschätzung von akuter Gefahr durch die Munition entwickelt sowie ein webbasiertes System, welches Politik und Behörden bei der Entscheidung helfen soll, ob Funde weiter überwacht oder geborgen werden sollen. „Wir brauchen von der Politik ein proaktives Verhalten und kein Abwarten mehr wie in den letzten 70 Jahren“, so die Erkenntnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“