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Welt im Weg

Fragiler Gesang und sehnsüchtiges Vibraphon, diskrete Percussion und traurige Trompete: Heute sorgen Savoy Grand im Columbia Fritz für very british sadness

Heute Abend sollte im Columbia Fritz ganz viel Whiskey on the Rocks ausgeschenkt werden, dazu muss es in der Halle ein bisschen kalt sein. Und man sollte einen Menschen mitgenommen haben, den man liebt und der seinen Kopf auf die eigene Schulter lehnt. Das wären die optimalen Umstände für das heutige Savoy-Grand-Konzert.

Savoy Grand, das sind Graham Langley (fragiler Gesang vanitas-motivischer Texte, sanft weinende Gitarre), Oli Mayne (einlullender Bass, sehnsüchtiges Vibraphon), Kieran O’Riordan (diskrete bis nicht vorhandene Percussion) und Ian Sutton (traurige Trompete, hypnotische Orgel, elegisches Piano), und über diese Herren ist bereits zu Recht allerhand Hymnisches geschrieben worden. Das erübrigt zwar einerseits die pflichtmäßige Wiederholung alle Low-, Talk-Talk- und Soft-Machine-Vergleiche, andererseits macht es aber auch die Verwendung der Begriffe „Melancholie“, „Stille“, „Langsamkeit“ oder „Minimalismus“ ziemlich unmöglich, denn die sind auf die englische Band nun wirklich schon zu oft appliziert worden, als dass man sie guten Gewissens nochmals aufs Papier schreiben könnte. Treffend sind sie trotzdem. Versuchen wir es also mit einem etwas tieferen Griff in die Assoziationskiste: die dunkle Seite von Prefab Sprout. Oder: späte Cure ohne Kajalstift- und Wah-Wah-Pathos, dafür mindestens ebenso kopfhängig. Portishead minus TripHop, aber diesseitiger. Komeït plus Gesang, aber depressiver. Das könnte man noch stundenlang so fortführen, Fakt ist, dass man Savoy Grand zwischen tiefem Weltschmerz und stiller Tragik mit allem bezeichnen kann, was wunderschön und traurig ist.

Wenngleich Namen irreführen können, nicht zuletzt der von Savoy Grand selber. Mit der aus Ebenholz und Gold bestehenden Sechstausend-Dollar-Gitarre gleichen Namens haben die bis ins Sphärische schmucklosen Soundlandschaften des Quartetts jedenfalls nichts zu tun. Schon eher mit dem vergangenen Glanz großer, alter Hotels, wo die Dinge für den Gast unsichtbar und im Verborgenen geschehen: „The things you don’t notice/are the things closest“. Der Titel ihres jüngst erschienenen ersten Full-Length-Album „Burn the Furniture“ wiederum bedeutet weniger rockstarmäßiges Hotelzimmer-Zerlegen und -in-Brand-stecken als: „I burnt my stupid little fingers/lighting your letters“. Geschichten von Verlangen und Verlustangst, Einsamkeit und Selbstschutz. Letzten Sommer hätte es Savoy Grands „Millions of People“ auf der Insel damit beinahe zur prestigeträchtigen NME-Single der Woche gebracht – „if it weren’t so damn sunny“. Die Welt stand wieder mal im Weg.

Einen ihrer größten Auftritte sollen Savoy Grand in London gehabt haben. Da spielten sie nach zwei wahnsinnig lauten Hardcore-Bands. Ohne einen solchen Kontrapunkt dürfte ihnen heute jedes Herz im Publikum ausgeliefert sein. AXEL WERNER

Heute, 20 Uhr 30, Columbia Fritz, Columbiadamm 9–11, Kreuzberg

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