■ Welt Weit Grönling: Wen stören die Newsgroups?
Felix Somm hat's nicht leicht. Erst muß er seinen Job als CompuServe-Geschäftsführer aufgeben, dann wird er von einem bayerischen Amtsrichter verknackt. Ist er etwa ein ganz schlimmer? Einer von der Sorte, die sich am Leid anderer eine goldene Nase verdienen? Nein, ist er nicht. Felix Somm ist ein solider und biederer Geschäftsmann, einer, von dem man bedenkenlos einen Gebrauchtwagen kaufen würde. Mit ihm hat die gesamte Online-Branche eine ideale Märtyrerfigur, und in den zahllosen Stellungnahmen zum Urteil erklangen auch die Entsetzensschreie derer, die zuvor eine stärkere Kontrolle des Netzes gefordert hatten. Nun haben sie den Salat.
Warum nur mußte ausgerechnet Felix Somm auf die Anklagebank? Warum nicht die Geschäftsführer von AOL und T-Online? Oder die vielen kleinen und großen Internet-Provider? Pornographie hat es bei CompuServe noch nie gegeben, im Gegenteil: Wer als Kunde ein harmloses Pin-up-Bildchen auf die Homepage stellt, wird sofort aufgefordert, es wieder runterzunehmen. Dabei waren sogar die Möpse noch bedeckt. In der Zeit, als Somm die schändlichen Taten begangen haben soll, war CompuServe ein familenfreundlicher Online-Dienst. Damals gab es auch die erste wirksame Kindersicherung – bei CompuServe!
Aber als alle plötzlich „Internet“ schrien, Webseiten-Diskussionen in den Newsgroups bestaunen wollten, mußten die Online-Dienste das auch anbieten – und zwar komplett. Bei CompuServe gab es ein Programm namens „WinCim“ (oder „MacCim“), mit dem man ganz bequem und ohne Internetverbindung von einer Newsgroup auf die nächste klicken konnte. Keiner weiß so genau, wie viele das sind. Offenbar hat sich das in der CompuServe-Zentrale in Columbus/Ohio niemand so genau angeschaut, und in der deutschen Filiale erst recht nicht. Warum auch? Auf den zentralen Server hat die Filiale ohnehin keinen Einfluß.
Das war und ist auch heute noch gut so, alles andere wäre Zensur und führte zu Zuständen wie in China oder Singapur. Ein Stückchen Rechtssicherheit wäre dennoch wünschenswert, sonst gibt es am Ende keine Diskussionen mehr, und das Internet verkommt vollends zu einem bunten Reklamemedium. Schon heute sind bei vielen Providern die Newsgroups, wenn überhaupt, nur zu einem kleinen Teil abrufbar. Vorauseilende Gesetzestreue? Oder sind Diskussionen für die Entwicklung des Internet-Wirtschaftsstandortes Deutschland nur lästiges Beiwerk? Dieter Grönling
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen