Welfen-Ausstellung: Könige von geringem Verstand
Das Königreich Hannover ist zum Glück längst vorbei. Dennoch trauerten viele Ureinwohner lange dem oft reaktionären, noch öfter sogar peinlichen Herrscherhaus der Welfen nach. Das zeigt eine Ausstellung in Uelzen.
Im Sommer 1866 ging der Traum von der Großmacht Hannover endgültig in die Brüche. Für viele Ureinwohner ein Trauma bis heute, das durch das öffentliche Wirken des aktuellen Welfenoberhauptes Ernst August eher verstärkt, denn gemildert wird. Wie es dazu kam und wie Niedersachsen wurde, was es ist, erläutert die sehenswerte Ausstellung "Der lange Abschied vom Königreich Hannover - Das Ende der Souveränität 1866 und die Folgen" im Museum Schloss Holdenstedt in Uelzen.
Anlass und eine der tragenden Säule der Welfenschau ist Georg V., der letzten König von Hannover, dessen Geburtstag sich im Mai zum 190. Mal jährte. Wie die meisten seiner Vorfahren machte er auf der weltpolitischen Bühne eine unglückliche Figur. Die Briten, dem hannoverschen Herrscherhaus bis 1837 in Personalunion verbunden, ließen fast kein gutes Haar an den Autokraten von der Leine. Über Georg I. (1660 - 1727) befand der Schriftsteller Ben Johnson: "Er wusste nichts, tat nichts und wollte auch nichts tun." Außer, wie Chronisten spotteten, "mit Weibern poussieren", die so dick waren, dass man auf der ganzen Insel kein dem König zusagendes Format fand und zwei Mastmätressen aus Hannover importieren musste.
Als Georg II starb, schrieb die Times, nie sei "ein Mann weniger von seinen Mitmenschen betrauert worden". Über Erzreaktionär Ernst August, der nach dem Ende der Personalunion König von Hannover wurde, urteilte ein englisches Blatt, er habe "mit der einzigen Ausnahme des Selbstmordes jedes erdenkliche Verbrechen begangen". Was die Hannoveraner nicht hinderte, ihn in den 1970er Jahren vor dem Hauptbahnhof auf ein ziemlich hohes Bronzeross zu setzen.
ihren ersten urkundlich belegten Auftritt haben die Welfen im 8. Jahrhundert mit Ruthard und seinem Besitz an Mosel, Maas und in Oberschwaben
sein Nachfahre Heinrich der Löwe ist um 1150 Herzog von Sachsen und Bayern und einer der mächtigsten Fürsten Europas. 1179 unterliegt er im Machtkampf mit Friedrich Barbarossa, der ihn mit der Reichsacht belegt. Seine größte Tat bleibt der Export des "einpöckschen Bieres" nach München
Sohn Otto IV. wird 1198 König, bleibt aber als Totalversager nicht lange auf dem Thron. Später spaltet sich das Haus grob gesagt in zwei Linien. Der Braunschweiger verdanken wir die Bibliothek in Wolfenbüttel, der Hannoverschen Leibniz und die Herrenhäuser Gärten
Oberhaupt beider Häuser ist heute Prinz Ernst August, der zurzeit in Hildesheim wegen des Vorwurfs vor Gericht steht, einen Hotelier krankenhausreif geprügelt zu haben
Sohn Georg V., seit früher Jugend blind, schien anfangs aus der Art zu schlagen. Der schwärmerisch veranlagte Kronprinz entwickelte musisches Talent, komponierte schwermütige Lieder in Schubert-Tradition und korrespondierte mit Größen wie Clara Schumann, Johannes Brahms oder Hector Berlioz.
Wie Ludwig II., ein Bruder im Geiste, versuchte Georg V. nach der Thronbesteigung 1851 seine ebenso romantischen wie hochfahrenden Vorstellungen vom Königtum durchzusetzen. 1854 hob er die liberale Verfassung auf, die sein Vater als Folge der 1848er Revolution hatte akzeptieren müssen. Die antidemokratische Gesinnung trieb ihn außenpolitisch an die Seite der österreichischen Hohenzollern und ließ ihn eine chronische Abneigung gegen Preußen kultivieren. In völliger Verkennung der Realitäten ließ er sich auf einen Streit um die Vorherrschaft in Norddeutschland ein.
Was mit dem Gezänk um Zölle und Küstenschutz begann, endete in der Schlacht vor den Toren des thüringischen Städtchens Langensalza. Am 27. Juni trafen die Hannoverschen auf eine hoffnungslos unterlegene preußische Streitmacht und behielten die Oberhand. Allerdings konnten sie den Sieg aufgrund strategischer und logistischer Kapitalfehler nicht ausnutzen. Als tags darauf frische gegnerische Kräfte heranrückten und seine Streitmacht einkesselten, blieben Georg V. nur Kapitulation und Abdankung "Meine engsten Berater", schrieb er an Gattin Marie, "mussten mir empfehlen diesen furchtbarsten Schritt, zu dem ich je in meinem Leben gezwungen war, zu ergreifen. Ach, Marie, Marie, ich bin geknickt." Das Königreich Hannover wurde preußische Provinz.
In Ostfriesland, Hildesheim und Osnabrück jubelte man über den Untergang der dilletantischen Gerngröße, in den welfischen Kernlanden stilisierte man den Pyrrhus-Sieg "als letztes siegreiches Aufbäumen gegen den überlegenen Nachbarstaat" (Dieter Brosius) und Georg V. zur "tragischsten Figur der deutschen Geschichte" (Peter Hannemann). Ein Verhalten, dass bis heute nachwirkt. Vor allem bei den Fans von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig, in deren Kreisen die verwitterten Meistertitel ihrer Clubs (Hannover 1954, Braunschweig 1967) Langensalza-ähnliche Gefühle auslösen.
Die Uelzener Ausstellung prunkt jedenfalls mit rührenden Zeugnissen der Welfenliebe. So tünchte man nach Georg Exilgang die Bürgersteige der Landeshauptstadt Hannover in den Welfenfarben weiß und gelb und leistete passiven Widerstand gegen das preußische vermeintliche "Säbelregiment". Im Bürgermeisteramt zu Uelzen gingen Schmähschriften ein, die den preußischen Landtag als "Stickstoffsyndikat" und den Preußenadler als dummen Kuckuck verunglimpften: "Fr. Wilhelm, König von Preußen/ kann sich mitsamt seinem Kuckuck ausscheissen", hieß es da zum Beispiel, oder auch: "Kuckuck, Kuckuck, warte/ bald kommt Buonaparte,/ der wird holen/ was Du hast gestohlen."
Dem Niedersachsen Wilhelm Busch galten die Hannover darob als "Prototyp der deutschen Michel", aber der Satiriker hielt den Menschen ja im Allgemeinen für ein Rindviech, für einen "ledernen Sack voller Kniffe und Pfiffe". Zum solchen machte sich Georg V. in den Augen der meisten Zeitgenossen, als er 1867 in Frankreich eine Privatarmee aushob, die Welfenlegion. Die sollte im Falle eines deutsch-französischen Krieges an der Seite Frankreichs sein Reich zurückzuerobern. Die Pläne zerschlugen sich ebenso wie Bemühungen der Deutsch-Hannoverschen Partei, die unter dem Rubrum "Niedersächsische Landespartei", später Deutsche Partei, bis in die 1950er Jahre im niedersächsischen Landtag herumspukte.
Heute vertilgt der Hannoveraner still seine Welfenspeise, eine aus Milch-Vanille-Creme (weiß) und Ei-Weincreme (gelb) zusammengerührte Nachspeise, und ist im Grunde froh, dass sein Regent Christian Wulf nicht an türkische Pavillons uriniert oder Journalisten vermöbelt wie der letzte welfische Pinkelprinz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“