: „Welchen Sinn hat die ‚FR‘?“
Erich Kuby über die öffentliche Meinung und das Fehlen der eigenen Handschrift
taz: Herr Kuby, für den Freitag verfolgen Sie seit Jahren die Entwicklung der deutschen Presse – von Venedig aus. Ergibt sich von außen ein ganz anderes Bild?
Erich Kuby: Die öffentliche Meinung ist überaus diffus. Wenn Sie sich die großen politischen Konstellationen anschauen, dann ist das doch – ohne dass es erklärt ist – eine große Koalition. Aber darauf kommt es eigentlich gar nicht an. Die Leute haben aber eine tödliche Angst vor Langeweile, und sie bekämpfen sie vor allem mit Fernsehen.
... und die Auflagen der meisten Tageszeitungen gehen zurück. Liegt das nur am politischen Desinteresse?
Da komme ich zu einem Problem, das mir in der deutschen Presse in höchsten Maße missfällt – nehmen Sie die Süddeutsche als Beispiel: Es gibt niemanden mehr, der wirklich noch an seiner Handschrift erkennbar ist. Selbst die guten Leute haben keine eigene Handschrift mehr, mit Ausnahme vielleicht von Joachim Kaiser.
Apropos „Süddeutsche“: In Ihrer Kolumne „Der Zeitungsleser“ vermisst man jedes Wort zu Kummer und den erfundenen Interviews im „SZ-Magazin“.
Nun gut, darauf sind die reingefallen, da sollen die jetzt auch leiden. Das ist nicht euer Problem. Und die Süddeutsche ist ein so saturiertes und so gesichertes Blatt. Eine solche Zeitung übersteht das ohne Weiteres. Außerdem haben wir doch nur noch eine politisch klar definierbare Zeitung, und das ist die Frankfurter Allgemeine. Aber die FAZ ist keine deutsche Staatszeitung, auch wenn sie das gern sein möchte.
Linke Zeitungen gibt es also auch nicht mehr?
Nun, es gibt den Freitag. Und warum es den gibt, das ist klar: Nein, es gibt heute nahezu keine linke Zeitung mehr. In Italien gibt es immerhin Il Manifesto. Und das Blatt hat auch seine klare Funktion im politischen System Italiens. Aber in Deutschland gibt es das einfach nicht. Das hängt natürlich wieder mit der Disposition der Bevölkerung zusammen.
Und was sagen Sie spontan dann zur taz, die sie vor rund zehn Jahren auch einmal beraten haben?
Ich habe neulich den Artikel gelesen in der SZ, „Wozu taz denn“. Ich finde den Beitrag – mit Verlaub zu sagen – ganz unsinnig. Diese Frage, was für einen Sinn die Zeitung hat. Da kann man ja auch fragen: Welchen Sinn hat die Frankfurter Rundschau?
Die taz ist also auch eine ganz normale Zeitung?
Ja, und das ist doch auch nichts Besonderes. Auch die taz muss sehen, dass sie gute Leute holt, die gute Artikel schreiben. Dann hat sie auch Erfolg.
INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen