Weitergabe von Daten an Polizei: Klage von Ex-NSU-Helfer erfolgreich
Karlsruhe schränkt die Datenweitergabe durch den Verfassungsschutz ein. Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Gesetzesänderung.
Konkret ging es um eine schon seit Jahrzehnten bestehende Regelung im Bundesverfassungsschutzgesetz. Paragraf 20 verpflichtet die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern dazu, Informationen an die Polizei weiterzugeben, wenn dies „zur Verhinderung und Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist.“
Gegen diese gesetzliche Übermittlungspflicht erhob bereits 2013 der Ex-NSU-Helfer Carsten S. Verfassungsbeschwerde. Er hatte dem NSU-Terrortrio einst die Tatwaffe überbracht. Später stieg er aus der rechten Szene aus, bereute seine Mordbeihilfe und sagte umfassend aus. 2018 wurde er zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt und lebt heute in einem Zeugenschutzprogramm.
Seine Verfassungsbeschwerde hatte damals der linksliberale Bürgerrechtler Fredrik Roggan geschrieben, der heute Rechtsprofessor an der Brandenburger Polizeihochschule ist. Carsten S. sah sich durch die gesetzliche Übermittlungspflicht in seiner informationellen Selbstbestimmung verletzt. Als betroffen sah er sich vor allem im Zusammenhang mit der 2012 – nach dem Auffliegen des NSU-Terrors – eingeführten Rechtsextremismusdatei (RED). Die Datei sollte zwar keine neuen Daten erfassen, aber die Übermittlung vorhandener Daten an andere Behörden erleichtern.
„Hinreichend konkretisierte“ Gefahr muss bestehen
Beim Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte die Klage nun Erfolg. Die weitgehende Übermittlungspflicht sei unverhältnismäßig, entschieden die Richter:innen. Grundsätzlich sei die Übermittlung von Verfassungsschutzdaten an die Polizei zwar legitim, um Gewalttaten und Hetze von Extremist:innen zu verhindern und aufzuklären. Wenn es aber um Daten geht, die heimlich gewonnen wurden (etwa durch V-Leute oder abgehörte Telefonate), dann ist die Übermittlung in der Regel nur zulässig, wenn auch die Polizei mit ihren Befugnissen die Daten hätte erheben dürfen.
Konkret heißt das: Der Verfassungsschutz darf der Polizei heimlich gewonnene Daten nur übermitteln, wenn eine „hinreichend konkretisierte“ Gefahr besteht oder wenn es einen konkreten Verdacht gibt, dass eine besonders schwere Straftat begangen wurde. Es geht dabei insbesondere um den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Freiheit sowie des Staates. Angriffe auf Sachen gelten nur dann als besonders schwere Tat, wenn die Sachen von öffentlichem Interesse sind, wie etwa ein Kraftwerk.
Das Verfassungsschutzgesetz enthielt zwar ein allgemeines Überermittlungsverbot, wenn Belange des Betroffenen die Sicherheitsinteressen überwiegen. Das Gericht hielt dies für zu unbestimmt. (Az.: 2354/13)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel