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■ Weitere neun Millionen Mark unbekannter Herkunft sind bei der CDU aufgetaucht. Die Nerven liegen blank: Beim Abschied des sauberen Ex-Ministers Manfred Kanther aus dem Bundestag weinten einige AbgeordneteDie CDU im Tal der Tränen

Alle fürchten sich vor dem großen Knall. Unter den Spitzenpolitikern der CDU geht die Angst um, dass schon bald Beweise für schwarze Kassen der Bundespartei im Ausland auftauchen könnten. Ein Bundestagsabgeordneter berichtete der taz, der ehemalige CDU-Steuerberater Weyrauch habe bei der Abrechnung seiner Reisen in die Schweiz Belege mit den Stichworten „Hessen“ und „Bundes-CDU“ gezeichnet. Schwarze Kassen im Ausland, möglicherweise durch Gelder aus der ehemaligen CDU-Geldwaschanlage „Staatsbürgerliche Vereinigung“ gespeist – dies könnte eine Erklärung für das beharrliche Schweigen von Helmut Kohl sein. Mitglieder der CDU-Bundestagsfraktion spekulieren seit Tagen darüber, ob Kohl die Namen derer, die ihm zwei Millionen Mark für die Partei schenkten, deshalb nicht nennen will, weil es diese Spender nicht gibt. Stattdessen habe sich die Bundespartei möglicherweise – genauso wie die hessische CDU – bei Bedarf Geld von ihren eigenen schwarzen Konten im Ausland geholt. Generalsekretärin Angela Merkel bestätigte unterdessen, dass neue ungeklärte Vermögenswerte in der CDU aufgetaucht sind. Nach Berichten des ZDF soll es sich um acht bis zehn Millionen Mark handeln, deren Herkunft die Partei nicht klären könne. Mitglieder des Parteivorstandes vermuten, das Geld stamme von „Schwarzkonten“.

Auch der Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble machte auf der turbulenten Fraktionssitzung am Dienstagabend düstere Andeutungen: „Die CDU ist noch lange nicht aus dem Sumpf heraus.“ Selbst Kohls alter Gefährte Norbert Blüm sagte, in wenigen Wochen werde sowieso alles herauskommen, deshalb müsse der nun alles erzählen, was er wisse.

Am Sonntagabend will die CDU-Spitze über den Bericht der Wirtschaftsprüfer beraten und noch einmal mit Kohl reden. Doch Kohl will sein Schweigen nicht brechen. Der Parteivorstand hatte ihn am Dienstag aufgefordert, zur Aufklärung beizutragen, sonst möge er sein Amt als Ehrenvorsitzender ruhen lassen. Schwer beleidigt hatte Kohl daraufhin den Ehenvorsitz abgegeben. „Mit diesem Schritt hat er deutlich gemacht, dass er derzeit an der Aufklärung der Affäre nicht mitarbeiten wird“, sagte die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Angela Merkel sagte, sie sei „außerordentlich traurig“ über die Entscheidung Kohls.

Inzwischen gibt es unter den führenden CDU-Politikern und Bundestagsabgeordneten fast niemanden mehr, der noch zu Kohl hält. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz forderte Kohl indirekt auf, sein Mandat zurückzugeben: „Kohls Rechtsverständnis ist nicht meines. Es fällt mir schwer, mit so jemandem in der Fraktion weiter zusammenzuarbeiten.“ Verzweifelt überlegen die CDU-Führungsmitglieder, wie sie Kohl doch noch zum Reden bringen können. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller forderte sogar strafrechtliche Konsequenzen: „Wer Parteispenden nicht ordnungsgemäß behandelt, muss strafrechtlich belangt werden.“ Andere wollen Kohl eine Brücke bauen: Er könne die Namen der Spender vor einem parteiinternen Gremium zu Protokoll geben, ohne dass sie öffentlich gemacht würden. Ein Parteiausschlussverfahren halten die meisten CDU-Politiker für falsch: Da würden die Kohl-Verehrer an der Basis nicht mitmachen.

Generalsekretärin Angela Merkel versucht inzwischen mit einigen Gleichgesinnten, Pläne zur Parteireform zu erarbeiten. Die undurchsichtigen Strukturen aus der Kohl-Ära müssten aufgelöst und durch ein transparentes System ersetzt werden. Ein Vorbild dafür könne die SPD sein. Dort gilt auf allen Ebenen das Vier-Augen-Prinzip. Ausgaben über 3.000 Mark müssen von einer zweiten Person gegengezeichnet werden.

Auch über die personelle Erneuerung der Partei wird laut nachgedacht. Zwar wurde Wolfgang Schäuble am Dienstag vom Präsidium und dem Vorstand das Vertrauen als Parteivorsitzender ausgespochen. Das bedeutet jedoch noch nicht, dass er auf dem Parteitag im April wiedergewählt wird. Einer, der bei der Fraktionssitzung dabei war, berichtet: „Jeder wusste, Schäuble ist nicht der richtige Mann für die Zukunft, aber keiner hat es gesagt.“ Schäuble habe nun die undankbare Aufgabe, „den Stall auszumisten“. Danach werde er den Parteivorsitz abgeben müssen, denn: „Der Gestank wird an ihm hängen bleiben.“ Schließlich sei er selbst in die Parteispendenaffäre verstrickt.

Auf der Fraktionssitzung wurde deutlich, wie schwer es vielen fällt, sich von ihren alten Recken zu trennen – auch wenn sie in kriminelle Machenschaften verstrickt sind: Manfred Kanther, der Verantwortliche für den CDU-Finanzskandal in Hessen, legte offiziell sein Bundestagsmandat nieder. Die Abgeordneten spendeten ihm lange Applaus. Einigen standen die Tränen in den Augen.

Tina Stadlmayer, Berlin

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