Weiter dramatische Lage in der Ukraine: Bomben und Verhandeln

Vor dem Treffen der Außenminister der Ukraine und Russlands signalisieren beide Seiten Zugeständnisse. Die Lage im Land bleibt katastrophal.

Eine Frau schöpft aus einem riesigen Topf Suppe, um sie herum stehen viele Menschen, die mit Tellern darauf warten, dass ihnen aufgefüllt wird

Essensausgabe in Mariupol am 7. März 2022 Foto: Evgeniy Maloletka/ap

Einen Tag vor den Verhandlungen zwischen dem russischen Außenminister Sergei Lawrow und seinem ukrainischen Gegenpart Dmytro Kuleba in der Türkei zeigen beide Seiten erste Bewegung. Es ist das ranghöchste Gespräch seit dem russischen Einmarsch vor genau zwei Wochen, der in der Ukraine große Schäden und großes Leid anrichtet.

Die Ukraine beharrt offenbar nicht mehr auf dem Wunsch, rasch Nato-Mitglied zu werden. Dieses Ansinnen hatten die Nato und mehrere europäische Regierungschefs ohnehin abgelehnt. Außerdem schließt die Ukraine nicht mehr aus, in Verhandlungen mit Russland auch über eine mögliche Neutralität des Landes zu sprechen. „Solche Fragen ließen sich in Verhandlungen diskutieren, das ist durchaus möglich“, sagte Ihor Showkwa, außenpolitischer Berater Selenskis, am Dienstag in der ARD-Sendung „Tagesthemen“.

Gleichzeitig fordert die Ukraine aber Sicherheitsgarantien. „Wir brauchen strikte Garantien, damit eine solche Situation nie wieder eintreten kann“, sagte Showkwa angesichts der Zerstörungen, die die russischen Bombardierungen in seiner Heimat angerichtet haben. Am Montag hatte Selenski in einem Interview mit dem US-Sender ABC über die Gebiete im Donbass gesagt: „Mir ist wichtig, wie die Menschen in diesen Gebieten leben werden und Teil der Ukraine sein wollen“. Diese Frage sei „komplexer als nur die Anerkennung dieser Gebiete“.

In einer Videobotschaft an das britische Unterhaus verwies Selenski auf die zivilen Opfer der russischen Bombardements, darunter viele Kinder. „Dies sind Kinder, die ihr Leben hätten leben können. Aber sie haben sie uns genommen“, sagte er.

Die russische Kreditwürdigkeit ganz unten

Das russische Außenministerium erklärte seinerseits, dass Russland keinen Machtwechsel in der Ukraine anstrebe. Ziel sei „weder die Besatzung der Ukraine noch die Zerstörung ihrer Staatlichkeit noch der Sturz der aktuellen Führung“, hieß es in einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur Tass. Noch vor wenigen Tagen waren die Mitglieder der ukrainischen Regierung als „Nazis“ bezeichnet worden. Zudem ist die russische Führung inzwischen dazu übergegangen, Begriffe nach Belieben umzudefinieren oder auch ihren Gebrauch zu verbieten. So riskieren Rus­s:in­nen hohe Haftstrafen, wenn sie den Angriff ihrer Streitkräfte auf die Ukraine „Krieg“ oder „Invasion“ nennen.

Die zerstörte Fassade eines Wohnhauses davor gehen Menschen in Gummisteifeln

Zerstörtes Haus in Mariupol am 7. März 2022 Foto: Evgeniy Maloletka/ap

Ein Kreml-Sprecher nannte das Treffen Lawrows und Kulebas im südtürkischen Antalya einen „wichtigen Teil des Verhandlungsprozesses“. Er bekräftigte zwei russische Kernforderungen: die Anerkennung der 2014 annektierten Krim als russisches Gebiet sowie die Unabhängigkeit der selbst ernannten ostukrainischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk.

Die russische Wirtschaft gerät durch die westlichen Sanktionen Tag für Tag unter stärkeren Druck. Die EU verschärfte am Mittwoch ihre Strafmaßnahmen. Russische Banken mussten den Devisenverkauf an Privatpersonen einschränken, außerdem wurde Russlands Kreditwürdigkeit von Fitch, einer der drei großen Ratingagenturen, auf das unterste Niveau herabgestuft. Immer mehr westliche Unternehmen stellen ihre Tätigkeit in Russland ein. Die USA und Großbritannien haben ihre Einfuhr von Öl und Gas aus Russland gestoppt.

In Russland brachte eine Regierungskommission am Mittwoch erste Schritte für die Verstaatlichung des Eigentums ausländischer Firmen, die das Land verlassen, auf den Weg. Die Kommission für gesetzgebende Aktivitäten unterstütze einen entsprechenden Gesetzentwurf. Firmen mit mehr als 25 Prozent im Besitz von Ausländern aus „unfreundlichen Staaten“ könnten dann einer externen Verwaltung unterstellt werden.

Uneinigkeit über Kampfjets

Dramatisch ist weiterhin die Lage der ukrainischen Zivilist:innen. Am Mittwoch gab es einen erneuten Versuch, Menschen die Flucht aus umkämpften Städten zu ermöglichen. Allein in der Hafenstadt Mariu­pol hofften Hunderttausende auf Rettung aus katastrophalen Bedingungen. Dort waren mehrere Anläufe zu einer Evakuierung seit Sonntag gescheitert. Die Ukraine hatte Russland vorgeworfen, die Fluchtrouten zu beschießen, was auch durch Videos bestätigt wurde. Am Mittwochmorgen sprach die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk nun von sechs Fluchtkorridoren, über die sich Zi­vi­lis­t:in­nen in Sicherheit bringen können.

Eine wirksamere Verteidigung der großen Städte hatte sich die Ukraine von Kampfflugzeugen des Typs MiG-29 erhofft, wie sie Polen liefern wollte. Präsident Selenski ist inzwischen skeptisch, dass sein Land die Jets bekommt. Er sehe, dass es ein Problem mit der Logistik bei der Übergabe gebe, sagte er am Mittwoch in einer Videobotschaft. Diese Probleme müssten gelöst werden. „Treffen Sie so schnell wie möglich eine Entscheidung, schicken Sie uns Flugzeuge!“, sagte Selenski. Die USA lehnen dies aber ab, da sie befürchten, in den Krieg hineingezogen zu werden.

Das Außenministerium in Warschau hatte am Dienstag erklärt, es könne seine 28 MiG-Jets „kostenlos und unverzüglich“ zum US-Stützpunkt Ramstein in Deutschland bringen. 22 davon stammen noch aus DDR-Beständen. Gedacht war wohl, dass die USA diese Kampfjets anschließend an die Ukraine liefern könnten. Dies war aber offenbar nicht mit Washington abgesprochen. Pentagon-Sprecher John Kirby erklärte am Dienstag, Kampfjets von einem US-Nato-Stützpunkt aus in den umkämpften ukrainischen Luftraum zu fliegen, gebe „dem gesamten Nato-Bündnis Anlass zu ernsten Bedenken“. Der Vorschlag sei nicht „haltbar“. Die Führung in Moskau warnte am Mittwoch: Den polnischen Vorschlag umzusetzen würde ein „potenziell gefährliches Szenario“ erzeugen.

Die USA und andere westliche Staaten – darunter Großbritannien, Belgien, Frankreich, die Niederlande, Tschechien, Portugal und Deutschland – liefern aber mit Hochdruck andere Waffen an die Ukraine. Auf einem Luftwaffenstützpunkt in der Nähe der ukrainischen Grenze landen im 90-Minuten-Takt große Transportflugzeuge. Dort wird deren Ladung auf Lkws umgeladen und in die Ukraine transportiert. Nach US-Angaben sind der Ukraine auf diese Weise bisher 17.000 Panzerabwehrwaffen und 2.000 Stinger-Luftabwehrraketen geliefert worden.

Im US-Kongress wird im Rahmen eines neuen Haushaltsgesetzes über Hilfen für die Ukraine in Höhe von 13,6 Milliarden Dollar beraten – deutlich mehr als vom Weißen Haus vorgeschlagen. Außerdem schickt Präsident Joe Biden am Mittwoch seine Vizepräsidentin Kamala Harris nach Polen und Rumänien, um dort über wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung für die Ukraine zu beraten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.