: Weiter Hungerstreik
Auch Europaparlamentarier um Daniel Cohn-Bendit erreichen im Konflikt um die Knäste in der Türkei nichts
ISTANBUL taz ■ Mit einem Appell an die türkische Regierung, den Dialog mit den hungerstreikenden Gefangenen wieder aufzunehmen, um weitere Todesfälle zu verhindern, hat gestern eine Delegation des Europäischen Parlaments einen dreitägigen Besuch in der Türkei beendet.
Die Delegation, an der unter anderem Daniel Cohn-Bendit als Vorsitzender des gemeinsamen türkisch-europäischen Parlamentsausschusses teilnahm, besuchte insgesamt vier Gefängnisse, darunter die beiden neuen Hochsicherheitsanstalten in Kandira und Sincan, in denen viele jener Gefangenen untergebracht sind, deren Hungerstreik bislang 23 Menschen das Leben kostete.
„Das Problem ist“, sagte Cohn-Bendit anschließend gegenüber der taz, „wie man zwei Seiten, die jeweils nicht den ersten Schritt machen wollen, dazu bringt, trotzdem miteinander zu reden.“ Einer der Anführer der verbotenen DHKP/C etwa, Shadi Özpolat, habe laut Cohn-Bendit gefordert, dass man ihn mit anderen führenden DHKP/C-Leuten zusammenlegt, um mit der Regierung zu verhandeln. Justizminister Hikmet Sami Türk habe aber auch gegenüber der Delegation noch einmal klargemacht, dass mit „Terroristen“ nicht verhandelt werde.
„Wir haben darauf gedrängt, zumindest einige vertrauensbildende Maßnahmen durchzuführen und den Gefangenen in den F-Typ-Knästen mehr soziale Kontakte zuzugestehen“, sagte Cohn-Bendit nach dem Gespräch mit dem Justizminister. Der habe allerdings keine konkreten Zusagen machen wollen.
Für die EP-Parlamentarier war der Besuch in den Gefängnissen ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite machten weder Daniel Cohn-Bendit noch Ozan Ceyhun einen Hehl daraus, dass sie es im Prinzip für richtig halten, die bisher in der Türkei üblichen Großtrakte mit bis zu 100 Gefangenen abzuschaffen und durch moderne Knäste mit kleineren Zellen zu ersetzen. Auf der anderen Seite forderten sie aber vom türkischen Staat so viel Flexibilität, dass der Hungerstreik gegen die neuen Knäste beendet werden kann.
Damit sitzen sie, wie auch die meisten türkischen Intellektuellen, Künstler und Publizisten, die sich bisher für ein Ende des „Todesfastens“ eingesetzt haben, zwischen allen Stühlen. Von den Gefangenen werden sie als Handlanger der türkischen Regierung beschimpft, die ihren „Widerstand“ zermürben sollen und das türkische Polit-Establishment hält sie im besten Fall für naive Ausländer, die sich von „Terroristen“ instrumentalisieren lassen. Die Delegation nimmt nicht den Eindruck mit, im Konflikt in der Türkei viel bewegt zu haben.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
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