Weißrussischer Oppositionspolitiker frei: Von Gnaden Lukaschenkos
Andrej Sannikow saß wegen Aufstachelung zu Massenunruhen in Weißrussland im Knast. Nun wurde er begnadigt. Ein Gegner des autokratischen Staatschefs war er nicht immer.
„Ich habe bis zum letzten Moment nicht geglaubt, dass ich freigelassen werde. Jetzt muss ich erst einmal zu mir selbst finden“, sagte ein sichtlich gezeichneter Andrej Sannikow in einem ersten Interview. Am Samstag durfte der weißrussische Oppositionspolitiker nach einer Begnadigung durch den autokratischen Staatschef Alexander Lukaschenko das Gefängnis in Witebsk verlassen. Am Abend wurde der 58-Jährige von Angehörigen sowie Dutzenden seiner Anhänger unter Rufen wie „Sannikow Präsident!“ und „Es lebe Belarus!“ in der Hauptstadt Minsk begrüßt.
Sannikow war bei den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 gegen Amtsinhaber Lukaschenko angetreten. Am Abend des Wahltags war er bei Demos gegen die gefälschten Ergebnisse zusammengeschlagen und festgenommen worden. Im vergangenen Mai verurteilte ihn ein Gericht wegen Aufstachelung zu Massenunruhen zu fünf Jahren Straflager.
Sannikow war nicht immer ein erklärter Gegner Lukaschenkos. 1995/96 war der Absolvent der Moskauer Diplomatenakademie, der in den 80er Jahren beim UN-Sekretariat in New York tätig gewesen war, Vizeaußenminister der Republik Weißrussland. Als Lukaschenko im November in einem manipulierten Referendum über die Aushebelung der demokratischen Verfassung und eine Verlängerung seiner eigenen Amtszeit abstimmen ließ, quittierte Sannikow den Dienst.
Ein Jahr später rief er die Menschenrechtsorganisation Charter 97 mit ins Leben und war 2008 Mitbegründer der Bürgerbewegung Europäisches Belarus.
Verheiratet ist Sannikow mit der regimekritischen Jornalistin Irina Chalip. Mehrfach hatte sie der Regierung vorgeworfen, ihren Mann, dessen Gesundheitszustand sich rapide verschlechtert hatte, im Gefängnis sterben zu lassen. Nach Sannikows Festnahme war dem Paar gedroht worden, ihren heute vierjährigen Sohn Danila in ein staatliches Waisenheim einzuweisen.
Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt betonte Sannikow, dass er trotz Drucks in der Haft keinerlei Schuld eingestanden habe. Mehr wolle er nicht dazu sagen. Jedes Wort könne gegen diejenigen verwendet werden, die noch sitzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen