„Weiße Witwe“ an der Berliner Volksbühne: Tausendundein Latexanzug
Kurdwin Ayub spielt mit dem westlich-orientalisierenden Blick. In „Weiße Witwe“ gibt es Witz und Klamauk – und Kritik an der bürgerlichen Linken.
Wir schreiben das Jahr 2666. Es gibt immer noch Spätis, Aldi und Dubai-Schokolade – aber die jungen weißen Männer sterben aus. Denn Königin Aliah fängt, fickt und foltert sie, bevor sie die Jünglinge ihrer Riesenspinne Speedy zum Fraß vorwirft.
Aliah (im besten Sinne laienhaft interpretiert von Rapperin addeN) ist Alleinherrscherin eines islamischen Staats Europa, den sie vor den neuen Rechten bewahrt hat und in dem Sex und Körperkult zur Maxime erhoben wurden. So tritt nicht nur die Königin selbst in funkelnder Unterwäsche auf, ihre Untertan*innen hüllen sich in Latexanzüge, Katzenmasken und Uniformen – die entfernt an die Amazonengarde des einstigen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi erinnern.
„Weiße Witwe“, das Theaterdebüt der kurdisch-österreichischen Regisseurin Kurdwin Ayub an der Berliner Volksbühne, beginnt wie ein wahr gewordener Traum aus „Tausendundeine Nacht“ – oder so, wie ihn sich der westlich geprägte Blick vorstellt: Zwiebelhauben, Rundbögen, Orientteppiche und Bauchtänzer*innen in Haremshosen, die sich zum obligatorischen Doumbeksound winden. Das Bühnenbild von Nina von Mechow lässt keine Wünsche offen, nur eine Frage: Was soll die kleinbürgerliche Fertighausfassade in diesem Szenario?
Sie mag für die Piefigkeit stehen, die sich, in einen Teppich gerollt, Zutritt zu Aliahs Schlafgemach verschafft und in Filzhut wie Trachtenweste (immerhin mit Armaniletten; Kostüm: von Mechow) vor ihr als alter weißer Mann materialisiert. Ganz selbstlos bietet er – das nölige Wienerisch eines Georg Friedrich ist einmalig – sich der Königin an, scheinbar um seine „Rasse“ zu retten.
Meistgesuchte Frauen der Welt
Doch statt der propagierten Standfestigkeit beginnt er der Herrscherin das Märchen der weißen Witwe zu erzählen, hinter der sich eine reale Person verbirgt. Samantha Lewthwaite, 1983 im nordirischen Banbridge in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, gehört nach wie vor zu den meistgesuchten Frauen der Welt.
Nicht nur ist sie die Witwe von Germaine Maurice Lindsay, der sich im Jahr 2005 als einer von vier Attentätern in London in die Luft sprengte und 52 Menschen mit in den Tod riss, sondern sie war auch selbst als Dschihadistin für Terrorattentate in Kenia mitverantwortlich.
Ayub, deren zweiter Spielfilm bald mit Volksbühnenstar Florentina Holzinger in der Hauptrolle ins Kino kommt, zieht hier eine Parallele zu heute. Eine, in der es besonders unter bürgerlichen Linken erneut en vogue zu sein scheint, mit terroristischen Gruppen zu liebäugeln, während deren patriarchale Unterdrückungsstrukturen im toten Winkel des exotisierenden Blicks verschwinden.
Glitzer und Popmusik
Dass diese Tendenz auch europäischen Rechten in die Hände spielt, offenbart sich, wenn Friedrich plötzlich Aliahs Tochter Cezaria (Samirah Breuer) dazu bringt, die Mutter zu stürzen. Cezaria in ihren Humana-Klamotten, die an den Grausamkeiten ihrer Mutter und der Welt zu zerbrechen droht, möchte so unbedingt an eine (friedliche) Revolution glauben, dass sie nicht merkt, wie sie instrumentalisiert wird. Am Ende frisst Saturn seine Kinder, sterben Aliah und Cezaria Dantons Tod.
Was dem Abend an Stringenz fehlt, macht er mit Witz und Klamauk wieder wett. Ayub hält dem Publikum die Wurschtigkeit, in der es sich in der hiesigen Hemisphäre gemütlich macht, vor Augen. Garniert mit Glitzer und Popmusik, die von Rednex über Outlandish bis Britney Spears reicht, trägt das über die knapp zwei Stunden.
Wie schon in ihrem Spielfilmdebüt „Sonne“ über den Alltag junger Frauen mit Migrationsgeschichte in Wien flicht Ayub in „Weiße Witwe“ ganz selbstverständlich Tiktok- und Insta-Reels mit ein. Dass das Konglomerat aus süßen Tiervideos, gefilterten Anzeigen und Politwerbung, mit dem wir uns das Gehirn frittieren, zur allgegenwärtigen Oblomowerei beiträgt, klingt hier nur an.
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