Weihnachtliche Geschichten: Mit dem König von Bratislava tanzen
„Weihnachten in Prag“ ist eine wundersame kleine Erzählung von Jaroslav Rudiš. Darin geht es mit einem „Kavka“ auf Kneipentour.
![Laternen leuchten warm und Schnee fällt auf die Prager Karlsbrücke Laternen leuchten warm und Schnee fällt auf die Prager Karlsbrücke](https://taz.de/picture/6712857/14/34236866-1.jpeg)
Die Weihnachtsgeschichte bildet ein eigenes Genre bei den Erzählungen, und es gehört zu den schwierigsten Aufgaben für einen Schriftsteller, die hier angezeigte Balance zwischen Besinnlichkeit und Kitsch zu halten und nicht abzustürzen.
Jaroslav Rudiš hat dabei einen großen Vorteil: Er kommt aus Prag. Diese Stadt, die bereits viele magische Zuschreibungen erhalten hat, bietet sich in idealer Weise dafür an, einen Zeitpunkt wie den „Heiligen Abend“ ernst zu nehmen, aber dennoch alle möglichen Fallen zu vermeiden, die damit verbunden sind. Der Golem kann da helfen, oder der Grund der Moldau, und wenn man Weihnachten auch mit Kafka zusammendenken kann, hat man den entsprechenden Weg auf jeden Fall gefunden.
Jaroslav Rudiš: „Weihnachten in Prag“. Mit Illustrationen von Jaromír 99. Luchterhand, München 2023. 96 Seiten, 16 Euro
Dem Ich-Erzähler von Rudiš’ Weihnachtsgeschichte läuft gleich eine Figur namens „Kavka“ über den Weg, die zwar nicht Kafka ist, bald aber trotzdem endgültig so wie er geschrieben wird. Dennoch ist der Ton, der hier angeschlagen wird, keineswegs kafkaesk, sondern dem Sujet entsprechend warm und weich, wie in einer Legende, und es mischen sich allmählich einige märchenhafte Züge in das Geschehen, die aber ganz und gar nicht herausfallen und vollkommen selbstverständlich sind.
Der Vater und der Bahnhof
Der Erzähler trifft am 24. Dezember am Prager Hauptbahnhof ein, weil er sich für diesen Abend mit Freunden verabredet hat, am nächsten Tag wird er weiterfahren zu seinen Eltern in den Norden Tschechiens, ins „Böhmische Paradies“. Der Vater und der Bahnhof bilden die Rahmenhandlung dieser Legende, in der Eisenbahnthematik fühlt sich Jaroslav Rudiš ganz offensichtlich richtig daheim.
Aber zwischen Anfang und Ende am Prager Hauptbahnhof entspinnt sich ein Gang durch mehrere Prager Kneipen, der unwiderlegbar den Geist einer Heiligabendstimmung atmet, obwohl man sie noch nie so empfunden und gelesen hat wie hier.
Schon, dass das erste Bier einer ungeschriebenen Familienüberlieferung nach im „Schwarzen Ochsen“ getrunken werden muss, versetzt das Ganze in einen leichten, literarischen Schwebezustand, und wie in jedem guten Lokal wird dem Erzähler hier das Bier gleich auf den Tisch gestellt, ohne dass er dafür eine Bestellung aufgeben musste.
„Kavka“ tritt auf
An diesem Ort tritt auch jener Mann in Erscheinung, der in einen leichten schwarzen Übergangsmantel gekleidet ist und „ein wenig verloren“ wirkt. Als er sein Bier ausgetrunken hat, setzt die Verzauberung ein. Alles wird von nun an in ein geheimnisvolles, mildes Licht getaucht, sein Kopf beginnt nämlich zu leuchten wie eine der alten Prager Gaslaternen, sanft und gelb, und dass er „Kavka“ heißt, erstaunt dann nicht mehr weiter.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Das ist aber fast schon alles, was die Weihnachtsgeschichte von Rudiš an Kafka-Verweisen aufbietet – doch halt: Der Kopf, der plötzlich so leuchtet, unterhält insgeheim Querverbindungen zu Gregor Samsa in Kafkas „Verwandlung“, vielleicht habe dieser Protagonist einfach nur ein Bier zu viel getrunken und die berühmte „Zoorunde“ gedreht – nach dem „Schwarzen Ochsen“ kamen womöglich der „Kater“, die „Zwei Katzen“, der „Goldene Tiger“ oder das „Bärchen“.
Genau so eine Runde drehen der Erzähler und Kafka nun auch, und sie sammeln dabei den „König von Prag“ auf und eine Italienerin aus Mailand, deren Mann Straßenbahnfahrer in Milano gewesen ist, sich aber immer danach sehnte, Straßenbahnfahrer in Prag zu sein.
So wird das Ganze immer verträumter und versponnener. Und was es mit dem „König von Prag“ genauer auf sich hat, der auf dem oberen Bahnsteig des Prager Hauptbahnhofs zum Schluss noch mit dem „König von Bratislava“ tanzt, sollte man selbst nachlesen, genauso wie sich die Geschichte mit Kafka und der Italienerin weiterentwickelt. Und auch, dass die Dichter entweder Vögel oder Karpfen werden – in Prag ist der Karpfen zu Weihnachten eine unumgängliche Begleiterscheinung –, leuchtet einem unmittelbar ein.
Illustriert, in modernen, violetten Skizzen und Schraffuren, mit leichthändigen Zitaten aus den Welten Hrabals, Hašeks oder Kubins, hat das schmale Bändchen Rudiš’ Freund Jaromír 99, mit dem er auch die „Kafka Band“ aus der Taufe gehoben hat. Und wer die Freunde sind, die der Erzähler an diesem Abend in Prag treffen wollte, löst sich in den letzten Sätzen ebenfalls auf wundersame Weise auf. Die Kneipe dann heißt „Zum ausgeschossenen Auge“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!