Weihnachten in Böhmen: Tschechisches Wintermärchen
Ein Blick durchs Schlüsselloch der Weihnachtsmacher. Böhmerwald, Erzgebirge und Riesengebirge schneesicher und billiger als die Alpen.
Shakespeares „Wintermärchen“ spielt nicht von ungefähr in Böhmen. Auch wenn es bei ihm kurioserweise am Meer liegt, weil Engländer sich schlicht nicht vorstellen können, dass es auch Länder ohne Küsten gibt. Märchen aber kennt es reichlich, und strenge Winter auch. Da hier seit alters her Glasschmuck, Tand und Flitter gefertigt werden, verwandeln manche Täler sich um diese Jahreszeit in ein wahres Weihnachtswunderland.
Statt von Meeren wird das Böhmische Becken von Mittelgebirgen gesäumt: Böhmerwald, Erzgebirge und die Sudeten mitsamt Riesengebirge. Anders als im Kernland sind die Böden hier wenig ergiebig und das Klima ist rau. Von der Landwirtschaft allein konnten die Leute nicht leben, weshalb sich Heim- und Handarbeit schon früh zu einem wichtigen Erwerbszweig entwickelten – besonders, als die Glasindustrie ab dem 18. Jahrhundert boomte.
Seither fertigen zahlreiche Manufakturen Christbaumkugeln und Sektschalen, Schaukelpferde und Spieluhren, Krippen, Krüge und Kristallkaraffen. Harrachov, oder deutsch Harrachsdorf, am Westrand des Riesengebirges gelegen, ist zum einen als Wintersportort bekannt – mit Langlaufloipen, Skisprung- und sogar Skiflugschanzen. Zum anderen aber besitzt es die älteste Glasbläserei in Tschechien. Im Jahr 1712 wurde sie das erste Mal urkundlich erwähnt.
Je vier Arbeiter bedienen eine Station rund um den ringförmigen Schmelzofen. Sie laufen in blauen T-Shirts und kurzen Hosen herum. Zwei stehen oben an der Empore und entnehmen mit langen, blasrohrartigen Pfeifen glühende Klumpen, die sie drehen, formen und weiter aufblasen. Die beiden anderen sitzen unten an einer Werkbank, ziehen die Stiele und zwicken die Kelche ab.
Abfahrt: Als Mittelgebirge eignet sich das Riesengebirge vor allem für weniger geübte Skifahrer und Familien; für Cracks bieten die Abfahrten mit Höhenunterschieden von 300 bis 500 Metern zu wenig Auslauf.
Langlauf: Umgekehrt sind die Langlaufgebiete wegen der relativen Steilheit der Hänge nur bedingt etwas für Einsteiger. Viele träumen davon, einmal den Skiwanderweg („Magistrale“) über den Kamm des Riesengebirges zu absolvieren. Je nach Route benötigt man zwei bis vier Tage.
Winterfeeling: Die Region gilt als schneesicher. Unterkunft, Verpflegung und Skipässe sind günstiger als in den Alpen. An Professionalität haben die Urlaubsorte in den letzten Jahren gewonnen, beim Service wäre noch Luft nach oben.
Skigebiete: Die wichtigsten Ski- und auch Langlaufgebiete sind Špindlerův Mlýn (Spindlermühle), www.mestospindleruvmlyn.cz, und Pec pod Sněžkou (Petzer), www.pecpodsnezkou.cz/de
Information: www.severnicechy.info/de, www.riesengebirge.cz und www.harrachov.com
Es ist eine eingespielte Choreografie, ein unentwegter Tanz im Inferno. Nach altem Hüttenbrauch können die Glasbläser dabei unbegrenzte Mengen Bier der hauseigenen Brauerei trinken, mit nur leichtem Alkoholgehalt. Sonst würden sie an den Öfen schlicht austrocknen.
Himmelswerkstatt, Hexenküche
Fährt man über Gablonz Richtung Süden, so liegt in den Ausläufern des Riesengebirges das Dorf Poniklá. 1902 gründete der Kaufmann Otto Horn hier eine Manufaktur für Glasperlen, denen bekanntlich große Bedeutung als Tauschartikel zukam, doch sie zieren auch die böhmischen Trachten und waren für Hüte, Schmuck und Rosenkränze gefragt.
Die Technik hat sich seither kaum gewandelt. Eine Handvoll Arbeiterinnen lässt Glasröhrchen über einem Brenner rotieren. Früher blies man die Luft für jede Perle einzeln hinein, heute geschieht es über eine Druckluftdüse, die pro Röhrchen ein Dutzend Perlen bläst. Anschließend wird die spiegelnde Innenbeschichtung injiziert, die Perlen oder Kugeln werden in ein Farbbad getaucht und dann getrocknet.
Die kleine Fabrik ist halb Himmelswerkstatt und halb Hexenküche. Wie die Arbeiterin erklärt, verdankt sich der magische Glanz durchaus garstigen, ätzenden Substanzen. Entsprechend vorsichtig hantiert sie damit. Die Alchemisten von Poniklá haben allein hundert verschiedene Rottöne im Repertoire. In ganz Tschechien dürfte es daher keinen farbenfroheren Ort geben als ihren Werksladen.
Hier schimmern Fische, Vögel, Englein, Herzen, Zapfen, Sonne, Mond und Sterne. Allein die Christbaumspitzen bilden einen kleinen Wald, eine glänzender und eleganter als die andere .
Ein paar Häuser weiter beherbergt eine alte Scheune ein überaus sehens- und liebenswertes Heimatmuseum. Von der Schusterwerkstatt bis zum kompletten Hausstand eines Priesters, vom Kneipeninventar bis zum Friseurbedarf findet sich der Alltag von damals wieder.
Wundergeschichten aus dem Gebirge
Südlich von Poniklá öffnet sich dann das Böhmische Tafelland. Doch auch hier erhob sich einst ein mächtiges Gebirge. Davon zeugen jene abenteuerlichen Sandsteinformationen, die mit Hunderten von Pfeilern, Pforten und Türmen aus den umgebenden Wäldern aufragen. Auf Tschechisch werden sie „Felsenstädte“ genannt. Seit Jahrmillionen feilen Wind, Wasser und Frost an diesem fantastischen Skulpturengarten. Frisch eingeschneit wird er erst recht zum Zauberwald.
Etliche dieser Felsstöcke sind mit mittelalterlichen Burgruinen garniert. Erst später errichteten Adelsfamilien wie die Wallensteins dann auch Schlösser in den Landstädten. Auch für allerhand Fantasyromane und -filme soll diese surreale Landschaft Modell gestanden haben. Im nahen Jičín findet alljährlich ein großes Märchenfestival statt. Sein Schutzpatron haust in den Felsenstädten: der Räuber Rumzeis, der tschechische Robin Hood.
Eine noch berühmtere Gestalt aber zieht durchs Riesengebirge: Rübezahl. Der Herr vom Berge! Dessen „Wundergeschichten die Fantasie der Hausmütter an langen Winterabenden so lang und fein ausspann wie den Faden am Spinnrocken“, mitsamt einem langen Register von charakteristischen Verhaltensauffälligkeiten: „launisch, ungestüm, sonderbar, bengelhaft, roh, unbescheiden, stolz, eitel, wankelmütig“.
Sowohl auf der polnischen wie auf der tschechischen Seite der Schneekoppe lebt diese deutsche Sage fort. Fragt man die Bergarbeiter von heute – den Seilbahntechniker, den Skilehrer, die Serviererin, die Schalterdame des kleinen Postamts auf dem Gipfel –, ob sie an ihn glauben, so reicht das Spektrum von „felsenfest“ bis „nie und nimmer“. Wobei die Skeptiker leicht in der Rübezahl sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus