Weidel zur AfD-Kanzlerkandidatin gewählt: „Remigration“ ist jetzt Parteiräson
Radikal wie selten redete Alice Weidel bei ihrer ersten Rede als Spitzenkandidatin der AfD. Geschichtsrevisionismus war dabei allgegenwärtig.
Als Weidel den Begriff benutzt, brandet Applaus auf. Die jubelnden AfD-Mitglieder antworten mehrfach auf ihre Rede mit den Sprechchören „Alice für Deutschland“, dem abgewandelten SA-Slogan „Alles für Deutschland“. Für dessen Verwendung verurteilte ein Gericht den Rechtsextremisten Höcke bisher zweimal. Beim Gerichtsprozess in Halle musste Höcke für den original SA-Spruch 16.900 Euro zahlen, hier in beim Bundesparteitag in Riesa hat der Bundesvorstand „Alice für Deutschland“ auf blaue Herzen drucken lassen, mit denen die Delegierten wedeln. Der Chef der AfD Sachsen, Jörg Urban, schloss seine Rede in seinem Grußwort ebenfalls mit dem Spruch. Dass Höcke einer der ersten Gratulanten Weidels ist, rundete das Bild ab. Ebenso, dass sich Weidels Sprecher und Redenschreiber, Daniel Tapp, über eine halbe Stunde lang direkt vor dem Pressebereich mit dem neurechten Chef-Ideologen Götz Kubitschek unterhielt.
„Windmühlen der Schande!“
Weidel wurde ohne Gegenstimmen zur Kanzlerkandidatin gewählt. Wohl auch, weil es keine digitale Abstimmung gab und niemand anonym abstimmen konnte. Stattdessen wurde gefragt: Wer gegen die Kandidatur sei, solle aufstehen, woraufhin sich natürlich niemand erhob. Im Anschluss die Frage: Wer für Weidel, soll aufstehen – die AfD-Delegierten erhoben sich und blieben laut jubelnd stehen, schwenkten Deutschlandfahnen und stimmten wieder „Alice für Deutschland“-Sprechchöre an. Standing Ovations gab es mehrfach für Weidel, am Ende ihrer Rede für mehrere Minuten.
In ihrer Rede nannte Weidel Gegendemonstrant*innen, die ihre Anreise blockiert hätten, „rot-lackierte Nazis“. Sie sei von einem gewaltbereiten linken Mob bedroht worden, behauptete sie. Und sie bedankte sich abermals bei Tech-Milliardär Elon Musk. Nicht nur für das Gespräch zwei Tage zuvor, sondern auch dafür, dass dieser den Parteitag live über seinen Account auf seiner gekauften Plattform X streamte – der nächste disruptive Eingriff des Unternehmers in den deutschen Wahlkampf, um die autoritär-nationalradikale Partei zu stärken.
In ihrer Rede griff Weidel vor allem die CDU an: Sie werde ihr Programm nicht mit den Grünen durchsetzen können. „Das ist Betrug am Wähler“, schimpfte sie – auch wenn die CDU-Wähler mit einer deutlichen Mehrheit eine Koalition mit der AfD ablehnen und die Union voraussichtlich auch mit der SPD regieren könnte. Unionschef Friedrich Merz hatte zuletzt am Morgen bekräftigt, niemals mit der AfD koalieren zu wollen. Unter seiner Führung werde es das nicht geben, sagte Merz – sonst würde man „die Seele der CDU verkaufen“.
Doch Fakten spielten in Weidels Rede keine Rolle: Sie behauptete, die CDU habe sich in Thüringen mit Kommunisten gemein gemacht und verschickte die nächste Grußbotschaft an die Völkischen: „Der echte Wahlsieger ist Björn Höcke – da sitzt er!“
Weidel sprach aggressiv und argumentierte rassistisch. Zwischenzeitlich bekam man den Eindruck, dass sie sogar erneuerbare Energie hasst, als sie mit wild gestikulierend regelrecht schrie: „Wenn wir am Ruder sind: Wir reißen alle Windkraftwerke nieder! Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!“ Wissenschaftsfeindlichkeit gab es obendrauf auch: „Wir schließen alle Gender Studies und schmeißen die Professoren raus.“ Die Kinder müssten endlich „wieder was Vernünftiges“ lernen, forderte Weidel.
Deutschland als „Sklave der USA“
Der Geschichtsunterricht jedenfalls würde sich unter der AfD gewaltig ändern: Revisionismus ist beim Parteitag von Riesa allgegenwärtig. Weidel hatte zwei Tage zuvor in ihrem eher unsouveränen und unterwürfigen Talk mit Elon Musk plötzlich angefangen, den Nationalsozialismus umzudeuten: „Hitler war Kommunist“, sagte sie kontrafaktisch und hatte dafür für viel Empörung und Kopfschütteln sogar in der eigenen Partei gesorgt. Ein paar Tage zuvor hatte sie in einem Interview mit einem amerikanischen Magazin im Stile einer Reichsbürgerin davon gesprochen, dass Deutschland ein besiegtes Land und ein „Sklave“ der USA sei.
Offenbar nimmt Weidel sich in Sachen Radikalität auch am österreichischen FPÖ-Chef Herbert Kickl ein Beispiel, der ebenfalls in einem maximal radikalen Wahlkampf führte – und trotzdem in Österreich nun Kanzler werden soll. Von vielen Parteifreunden wurde sie beim Parteitag aber in Schutz genommen: Hitler sei zwar kein Kommunist, sagten gleich mehrere hochrangigen Funktionäre, aber ein Sozialist sei er halt schon, heißt es von vielen – was natürlich genauso wenig stimmt.
Die Stimmung erhöht auch die Chancen für einen geschichtsrevisionistischen Höcke-Antrag. Der würde gerne künftig straffrei SA-Parolen rufen. Dafür hat Höcke sogar einen Antrag auf die Tagesordnung gesetzt, der die Strafgesetzbuchparagrafen Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen abschaffen oder verändern will. Die Position wurde allerdings später am Abend nicht mehr ins Programm aufgenommen – und wurde offenbar als Kompromiss in den Bundesfachausschuss überwiesen.
Die Gemüter bewegte das Thema trotzdem: Ein hochrangiger Funktionär echauffierte sich im Beisein mehrerer Journalisten, darunter die taz, darüber, dass Volksverhetzung angeblich immer weiter ausgeweitet werde. Er sagte, er sei kein Holocaustleugner, aber Meinungen zu verbieten gehe nicht. Auf die Rückfrage, ob es aus seiner Sicht dann auch okay wäre, zu sagen, dass beim Holocaust nur drei Millionen Juden ermordet wurden, sagte er: „Ja, man muss darüber diskutieren dürfen. Ich weiß aus eigener Anschauung nicht genau, was passiert, sie wissen auch nicht genau, was passiert ist. Wenn ich es nicht genau weiß, warum soll ich dann nicht darüber diskutieren?“
Holocaust interessiert einen Funktionär „einen Scheißdreck“
Auf den Einwand hin, dass man natürlich wisse, wie viele Menschen im Holocaust ermordet wurden, insistierte der Funktionär, es aus persönlicher Anschauung nicht zu wissen und steigerte sich in einen Wutausbruch hinein: „Das ist doch 80 Jahre her! Was interessiert uns das heute überhaupt noch?“ Das interessiere nur Linke, die immer von „Schuld, Schuld, Schuld“ reden wollten, so der Funktionär: „Mich interessiert das heute einen Scheißdreck.“
Ein Härtetest steht der Partei dabei noch am Sonntag bevor, wenn sie über die Zukunft ihrer Jugendorganisation Junge Alternative entscheiden soll. Einige Teile des völkischen Lagers sowie große Teile der Parteijugend wollen verhindern, dass der Bundesvorstand die als gesichert rechtsextrem eingestufte Jugend durch eine Neugründung näher an die Partei bindet, um besser disziplinarisch durchgreifen zu können.
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