Wehrbeauftragte Högl über Wehrpflicht: Aussetzung zum „Riesenfehler“ erklärt
Seit 2011 ist in Deutschland der Waffendienst freiwillig. Die Armee sei damit weniger gut gegen rechte Umtriebe gefeit, sagt Eva Högl (SPD), und erntet prompt Widerspruch.
Auf die Nachfrage, ob sie für die Wiedereinführung sei, antwortete die Sozialdemokratin: „Natürlich müssen wir das Problem der Wehrgerechtigkeit im Auge behalten. Es tut der Bundeswehr jedenfalls sehr gut, wenn ein großer Teil der Gesellschaft eine Zeit lang seinen Dienst leistet. Das erschwert es auch, dass sich Rechtsextremismus in der Truppe breit macht. Ich möchte darüber im nächsten Jahr intensiv diskutieren.“ Dann ist die Aussetzung der Wehrpflicht zehn Jahre her. Ob es für die Rücknahme der Entscheidung eine politische Mehrheit gibt, „das wird sich am Ende der Debatte zeigen“, sagte Högl.
Zuletzt waren immer wieder Fälle von Rechtsextremismusverdacht bei aktiven und ehemaligen Soldaten aufgetaucht, darunter bei der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Auf dem Grundstück eines KSK-Soldaten in Sachsen war ein Waffenlager ausgehoben worden. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte als Konsequenz angekündigt, das KSK umzustrukturieren und eine Kompanie aufzulösen.
In der Linksfraktion stieß Högl mit ihrem Vorstoß auf energischen Widerspruch. „Rechtsextremistisches Gedankengut und rechtsterroristische Gewaltfantasien in der Bundeswehr stehen nicht kausal mit dem Ende der Wehrpflicht in Zusammenhang, sondern mit einer Kultur in der Bundeswehr, die dies über Jahrzehnte zugelassen und toleriert hat“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch am Samstag.
Eine Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht sei „ein gefährlicher Pappkamerad“, der die offensichtlichen Probleme in der Truppe nicht lösen werde. „Statt jungen Leuten mit der Wehrpflicht selbstbestimmte Zeit zu nehmen, brauchen wir auf allen Ebenen der Bundeswehr eine Nulltoleranz gegenüber geschichtsvergessenen Faschisten, die glauben, in Uniform ihr krankes Gedankengut ausleben zu können“, betonte Bartsch.
2011 war die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland und damit auch der Zivildienst ausgesetzt worden. Die Bundeswehr wurde so zu einer Freiwilligenarmee. Quasi als Ersatz für den Zivildienst wurde der Bundesfreiwilligendienst eingeführt. Die grundsätzliche Idee hinter einem Dienstjahr ist der Wunsch nach mehr gesellschaftlichem Engagement der Jugend.
Über die Wehrpflicht wurde seit 2011 immer wieder diskutiert. Sowohl Kanzlerin Angela Merkel als auch Kramp-Karrenbauer haben sich bisher gegen eine Wiedereinführung ausgesprochen – unter anderem, weil die Anforderungen an die Soldaten heute andere seien.
Grüne und Liberale gegen Högls Vorstoß
Der Grünen-Sicherheitsexperte Tobias Lindner sprach von einer Debatte im „Sommerloch“. „Die Wehrpflicht würde der Bundeswehr sicherheitspolitisch keinen Vorteil bringen, sondern lediglich massive personelle und finanzielle Ressourcen verschlingen“, sagte Lindner in Berlin. Wer wolle, dass die Truppe auch weiterhin möglichst die Breite der Gesellschaft abbilde, müsse nicht nur eine angemessene Bezahlung und Ausrüstung sicherstellen. Notwendig sei auch eine verantwortungsvolle Rekrutierungspraxis und zeitgemäße politische Bildung der Soldatinnen und Soldaten.
Auch bei den Liberalen hält man nichts von dem Vorstoß von Högl. Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte, die Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht sei „vollkommen überflüssig“. Die Bundeswehr brauche für ihre hochkomplexen Aufgaben Spezialisten.
„Schlichtweg falsch“ sei es, die Wehrpflicht als Antwort gegen Rechtsextreme in der Truppe zu nennen. „Rechte Tendenzen in der Truppe bekämpft man nicht durch die Zwangsverpflichtung aller jungen Menschen“, betonte Strack-Zimmermann. Vielmehr müsse man an die Wurzeln der Probleme heran, betonte sie.
Die Modernisierung der Bundeswehr müsse viel schneller angegangen werden, um Ausstattungsmängel abzustellen und die Ausbildung zu verbessern. Um Rechtsextreme in der Truppe zielgerichtet zu bekämpfen, müsse deutlich früher dazwischen gegangen werden. „Dafür muss die Mauer des Schweigens in den Strukturen der Truppe gebrochen werden, so dass die Bundeswehr sich von innen heraus besser gegen Rechtsextreme immunisieren kann.“ Auch benötige die politische Ausbildung der Soldaten einen höheren Stellenwert. Zudem müssten die Bewerbungs- und Einstellungsverfahren überprüft werden, um Personen mit rechtsextremen Tendenzen konsequenter aussortieren zu können.
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hatte vor der Corona-Pandemie immer wieder für die Einführung eines allgemeinen Dienstjahrs für junge Männer und Frauen geworben. Dieses „Deutschlandjahr“ könnte nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch in der Pflege, der Umwelthilfe oder bei der Feuerwehr geleistet werden, erklärte Kramp-Karrenbauer noch im Januar. Sie sprach damals von zwei möglichen Modellen – ein Pflichtjahr und eine freiwillige Dienstzeit.
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