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Weggekicherte Antagonismen

■ „Kanon, Karriere, Kolportage“: Das Literaturzentrum diskutierte die Hera-Lindisierung der Frauenliteratur

Die Hera-Lindisierung greift um sich: In den neuen deutschen Frauenromanen wimmelt es von Superweibern, Zauber- und Power-Frauen. Nach einem erfolgreichen Tag in der Werbeagentur legen sie erstmal ein bißchen getönte Tagescreme auf, gönnen sich ein Gläschen Sekt und lösen dann feucht-fröhlich ihre verflixten Männer-Probleme. „Die literarische Praxis postuliert das Ideal der postfeministischen Frau, die alle Antagonismen fröhlich wegkiechert“, polemisierte Hubert Spiegel in der FAZ unter dem Titel „Shopping in Mailand, ja, ja, ja“. Und Sigrid Löffler erkannte die Romane als „pflegeleichte Neuauflage des Uraltmodells Heimchen am Herd“.

Mit der Veranstaltung „Die drei neuen Ks: Kanon, Karriere, Kolportage“am Montag im Literaturhaus verlagerte das Literaturzentrum das Thema aus den Feuilletons in die öffentliche Diskussion. In einem humorig-kämpferischen Essay „Über den Verfall der Literatur von Frauen“brandmarkte Die Hamburger Autorin Jutta Heinrich die Romane als „Sedativa, die übers Auge wirken“. Nicht minder amüsant anzuhören waren die Thesen der Autorin und Literaturwissenschaftlerin Regula Venske unter dem Titel „Beim nächsten Buch wird alles anders“. Sie gab zu, keines der Bücher gelesen zu haben, doch reichten ihr schon Titel und Klappentexte zur Beurteilung. Real existierendes Beispiel: „Außer einem Doktorabschluß ist Tamara in letzter Zeit nicht allzu viel gelungen.“Die Diskussion, an der auch Hubert Spiegel teilnahm, moderierte die Literaturwissenschaftlerin Ulrike Vedder.

Zu Kontroversen kam es in der einmütigen Runde nicht, was der Veranstaltung ein bißchen von dem kuscheligen Charme gegenseitiger Selbstbestätigung verlieh. Mit Schmink-Tips und Verhaltensanleitungen wollen die Romane nicht nur unterhalten, sondern auch belehren – ein Muster, wie es auch in der pädagogischen Frauenliteratur des 19. Jahrhunderts und in Groschenromanen anzutreffen ist, so der allgemeine Konsens. Als besonders unangenehm stießen die feministischen Versatzstücke auf, die „noch eine Illusion von Progressivität aufrechterhalten“. Die Kritik an Männern beschränke sich auf die Darstellung derselben als wahlweise rücksichtslose Machos oder willenlose Softies.

Daß der Boom dieser Romane Frauen eine wichtige ökonomische Rolle bei der Bestimmung von Verlagsprogrammen zuweist, wandte eine Zuhörerin ein und traf damit auf heftigen Widerspruch. „Der Kern des Erfolgs liegt im Verzicht“, sagte Jutta Heinrich. Im Verzicht auf Widerstand, Verstehen und Benennen-Können als die eigentlichen Aufgaben der Literatur – so das Schlußwort aus dem Publikum.

Sabine Claus

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