: We test limits
■ Gespräch mit Graeme Revell, Chef der Avantgardeband SPK
Olaf Arndt/Carsten Aschmann/Malte Ludwig
Die Foltermethode, Gefangene in eine leere Öltonne zu stecken und auf dem umgestülpten Faß mit schweren Stangen zu trommeln, wurde von den Amerikanern während des Vietnamkrieges erfunden. Schwingung und Lärm treiben das Opfer, zumal in der völligen Dunkelheit ihres kaum mannsgroßen Gefängnisses, an die Grenze ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit, oft weit darüber hinaus. Dies war eine der zahllosen Maßnahmen, den Widerstand nicht allein der Vietcong, sondern eines ganzen Volkes zu brechen, um politische Interessen durchsetzen zu können.
SPK wenden diese düstere Praktik, bedrohlich verkehrt zum künstlerischen, zum musikalischen Stilmittel, in ihrer Performance an, mit der sie derzeit durch Europa touren: Zwei muskulöse Männer trommeln über den Köpfen der Zuschauer, bis die Gestelle, auf denen die Tonnen ruhen, unter den Schlägen zusammenbrechen, während ihre Sängerin, eine Chinesin, Texte über den grausamen Untergang des kamputscheanischen Volkes rezitiert.
„Das Stück ist in Amerika als B-Side einer Funksingle erschienen, damit es auch die Dreizehnjährigen hören. Es ist unglaublich, daß niemand von dieser Katastrophe Notiz nimmt, sagt Graeme Revell, 32, ehemaliger Politologe- und Geographiestudent und Pfleger in einer Nervenheilanstalt, heute Labelchef und Kopf der Avantgardeband SPK.
Pol Pot, Führer der Roten Khmer und in seiner Freizeit Verlaine-Leser, inszenierte den Genozid, um seine Diktatur zu festigen. 3.000.000 Tote oder 7.000.000, wie andere sagen, eine ohnehin unvorstellbare Zahl mit vielen Nullen, ein fast vergessener Massenmord, der knapp zehn Jahre zurück -liegt.
„Pol Pot hat Lobby und Bankverbindungen in den USA“, erzählt Graeme. Die Gewißheit, daß unsere Schutzmacht am Totschlag international verdient, geht der möglichen Erfahrung voraus, auch eines Tages in der Öltonne zu stecken, bis uns die Schläge eines neuen Führers das Gehirn zerreißen.
„Sinan, unsere Sängerin und meine Frau, kommt aus China. Und obwohl ihre Familie schon sehr lange in Neuseeland lebt, ist sie die einzige, die Englisch sprechen kann. Selbst ihre Schwestern können nur Chinesisch. Und sie hat diese ganze Kultur, und wenn sie spricht oder singt, dann bewegt sich da eine ganz andere Welt. Die europäischen Denkformen dagegen sind ausgetrocknet. Ich bin als weißer Neuseeländer natürlich fast ein Europäer, aber ich habe den Vorteil, daß meine Tradition wie die jedes Neuseeländers höchstens drei Generationen alt ist. Was uns interessiert, sind kulturelle Synthesen. Nicht nur musikalisch, sondern auch auf der geistigen Ebene. Wir wollen einen Ort finden, wo alles zusammenkommen kann. Christentum und Buddhismus und natürlich auch Heidentum. Das widerspricht sich ja auch alles nicht.“
SPK vermitteln dies als eine Botschaft, die Bestandteile von Gewalttätigkeit und Hymnen an „die Schönheit“ in sich vereint. SPK sagen „we test limits“, was heißen soll: wo stoßen wir an Grenzen, wie hoch ist die Toleranz beim Publikum, wieviel Druck, wieviel Radikalität verträgt ein Thema.
„Was ihr als gewalttätig empfindet, hat weniger mit Gewalt, sondern mehr mit Energie zu tun. Mit den ersten zwei LPs, die wirklich gewalttätig waren, mußten wir uns erstmal den Platz freiräumen.“
Vor einigen Jahren in Berlin haben sie mit ausgeweideten Schafsschädeln auf die Zuschauer geschossen. Die Berliner spielten damit Fußball, bevor sie sich schlugen. Heute wollen SPK nicht mehr in den Metropolen auftreten: „dull“ heißt: zuviel stumpfe Aggression.
„Wenn ich sehe, daß wir dauernd als 'Industrial Group‘ eingeordnet werden, macht mich das ärgerlich. Da wird so getan, als würden die Leute in den Fabriken noch immer wie im letzten Jahrhundert mit Hämmern auf Metall rumhauen. Das ist Quatsch, die Arbeit findet heute in Büros, in Banken statt und deshalb sind 'Kraftwerk‘ mit ihren Schlipsen und Plastiksynthesizern viel zeitgemäßer als beispielsweise 'Test Department‘.“
SPK haben sich „positiven“, ozeanischen Energien zugewendet, ihre Utopie ist die kulturelle, die historische Öffnung:
„Die Formen, die der ferne Osten entwickelt hat, sind viel lebendiger als alles, was hier abläuft. Selbst die europäische Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts ist vom Rest der Welt zusammengeklaut. Der Kubismus ist z.B. ein lahmer Abklatsch der alten afrikanischen Kunst.“
Neben der Arbeit mit SPK verwirklicht Revell auch Soloprojekte: drei Jahre lang sammelte er auf der ganzen Welt Aufnahmen von Insektenstimmen, digitalisierte und sampelte sie, bis sie für das menschliche Ohr wahrnehmbar werden.
„The Insect Musicians“, so der Titel der Platte, stellt für Revell einen Schritt musikalischer Aufklärung dar - aber ist es nicht vielleicht doch ein kollektiver Kamikazesturz des belebten Kleinkrams in den Fairlight-Computer, in das Samplingsystem, wo man ihnen verbietet, ihre Frequenzen selbst zu bestimmen. Die Urangst des Menschen vor der unhörbaren Kommunikation der Kerbtiere, die es zu kontrollieren gilt, führt zur auditiven Versklavung der Natur. Zwanghaft in der Diskette. Diese Methode ist nicht Fügung, sondern Unterwerfung. Auch die Irren werden von SPK enteignet:
„In diesem Jahr wird Side Effects, mein Plattenlabel, eine Einspielung von Stücken Adolf Wölflis herausbringen. Das war ein Künstler, der die Hälfte seines Lebens in einer Irrenanstalt bei Bern interniert war. Er hat gemalt, geschrieben und Musik komponiert. Schon am Anfang des Jahrhunderts hat er Campell's Tomatensuppendosen gemalt, Jahrzehnte bevor Warhol damit berühmt geworden ist. Paul Klee hat ihn in der Anstalt besucht und ich weiß nicht, wieviele geklaute Ideen er wieder mit hinausgenommen hat. Um seine Musik hat sich niemand gekümmert. Wir sind die ersten, die sie, zusammen mit Musikern aus England und Frankreich 'Nurse with Wound‘ und 'Deficit des Annees Anterieurs‘ aufgenommen haben.“
Seine Konzentration auf die kulturelle Peripherie, gerade jenseits von Europa, ließ ihn bizarre Instrumente finden, die auf der Bühne den Charakter von Skulpturen annehmen. „aural sculpture“ trifft auf „visual sculpture„; das Stichwort ist die Verbindung aller Künste in der Architektur; für SPK liegt die Zukunft in der 3-D-Art - da paradiert die Postmoderne in ihrer Galarüstung - und barocker Ausstattungswahn bestimmt über lange Strecken die Ästhetik: Fragile, durchscheinende Bilder wechseln mit PinUps: Marschierende und rotierende Menschen, Keller voller Gebeine und sado-erotische Szenen sind in Filmausschnitten und auf Dias erkennbar. Ein Musiker traktiert den Bühnenboden mit einer „Hitachi„-Flex. Sinan tanzt die Hochzeit von Butoh und Eurithmie herbei, ihr Körper ist wunderschön bemalt, im Hintergrund zwischen Aufbauprojektionen, Fackeln, Funkenregen, asiatischen Schattenspielen und folkloristischen Instrumenten, die wie Wok-Kochtöpfe oder wie mit Saiten bespannte Penisse ausschauen, prügelt der Keyboarder einen Roadie von der Bühne: eine „opera totale“, ein überwältigendes, ein haarsträubendes Kunstereignis.
„Ich denke, daß die wirkliche Kunst in Europa nicht beachtet wird. Ich habe gestern hier mit einigen Leuten über Filme geredet, über Tarkowski, der wie wenige andere sich in seinen Filmen nackt und bloß offengelegt hat. Aber davon wollten die gar nichts hören. Die haben nur von Godard geredet, mit diesem alten, verkommenen Strukturalismus, diesen „The medium is the message“ Dummheiten, als hätte es die letzten zwanzig Jahre nicht gegeben. Europa ist einfach vergreist.“
Dieser persönlichen Offenlegung ordnen sie alles unter, ihre Auftritte, ihre Musik, ihre Projekte, selbst die Vergangenheit, die sie sich zur Verwertung in die Gegenwart herüberziehen:
„Ihr Europäer seht immer nur Widersprüche und Probleme und macht alles viel komplizierter, als es wirklich ist. Ich habe keine Probleme damit, Sachen aus der europäischen Tradition aufzunehmen. Es kommt nur darauf an, sich nicht von einer Tradition einfangen zu lassen, besonders, wenn sie so überlebt wie die europäische ist. Wenn ich, um bei der Musik zu bleiben, Mozart höre, dann langweilt mich das, weil ich jeden Ton schon kenne, bevor ich ihn gehört habe. Aber ich finde die europäische Musik vor dem Barock großartig. Ich weiß nicht mehr, wieviele millionen mal ich mir schon Pergolesis 'Stabat Mater‘ angehört habe. Das ist wunderbare Musik. Oder, um ein Beispiel aus der Architektur zu nehmen, ich habe letzte Woche in Rom ein Gebäude gesehen, das war sehr hoch und schmal. Die Fundamente waren antik, das Gebäude darauf ist im Mittelalter gebaut worden, und erst vor kurzer Zeit hat man eine Bibliothek darin ausgebaut. Das ist eine Art, mit Traditionen umzugehen, die in Ordnung ist.“
Diskographie:
-„Information Overload Unit“ LP (1981) Normal, EfA 6909
-„Leichenschrei“ LP (1982) Normal, EfA 5026
-„Dekompositiones“ 12„-Singel, (1983) Normal, EfA 5029
-„Auto-da-fe“ LP (1983) Walter Ulbricht Schall folien AG, EfA 6521
-„Zamia Lehmanni“ LP (1986) Normal, EfA 5033
-„Machine Age Voodoo“ LP (1984) WEA, Bestell-Nr. unbekannt
-„Digitalis Ambigua - Gold and Poison“ LP/CD (1987), Animalized, SPV 7201 (LP), SPV 7202 (CD)
-„Breathless“ 7„/12“ (1988) Animalized, SPV 7245/44
-„Oceania“ live 1987 LP/CD (1988) Normal, EfA 5073
-„Graeme Revell „The Insect Musicians“ (1987) Musique Brut, Rough Trade Deutschland L10-3569
Die meisten Platten können beim Normalvertrieb im Postversand bezogen werden, Tel.: 0228/213041
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