piwik no script img

Wasserverbrauch gesunkenTeures Gemüffel aus dem Gully

Die Kanalisation ist nicht ausgelastet, weil die Deutschen weniger Wasser verbrauchen. Nun fault es im Untergrund. Verschwenderischer rumzuplantschen ist keine Lösung.

Vielerorts stinkt es aus den Gullys fies nach faulen Eiern. Bild: photocase.de

BERLIN taz Sommer 2008 in Berlin, Winterfeldtplatz in Schöneberg. Ein Ort mit vielen Kneipen und Cafés rundherum. Ein Ort, an dem es stinkt. Aus den Gullys riecht es nach faulen Eiern. Manche sind bereits mit Gummimatten überklebt - eine Selbsthilfe der Gastwirte, die fürchten, dass die Kunden wegbleiben könnten.

"Nicht überall, aber an vielen Stellen gibt es ein Geruchsproblem mit der Kanalisation", sagt Klaus Beckmann. Für den Professor, der das Deutsche Institut für Urbanistik (DIfU) leitet, ist die Ursache klar: "Vielerorts ist der Wasserverbrauch stark gesunken." Weil in den Kanälen weniger Abwasser als früher fließt, wird der Dreck nicht schnell genug weitergespült und beginnt zu faulen. So entwickelt sich schon in den Rohren übel riechender Schwefelwasserstoff, der nach außen entweicht.

Das Geruchsproblem betreffe vor allem Städte im Osten, meint Beckmann. In den nächsten 15 Jahren, so schätzen Demografen, werden die Einwohnerzahlen in einigen Bundesländern um bis zu 20 Prozent zurückgehen. Aber auch im Saarland oder im Ruhrgebiet gibt es den üblen Geruch. Hier ist die zusammengebrochene Industrie der Hauptgrund. Ohnehin fließt überall weniger Wasser durch die Kanalisation als früher, schließlich werden auch Spülmaschinen und Waschmaschinen immer sparsamer. Vor zwanzig Jahren verbrauchte jeder Deutsche im Schnitt 150 Liter am Tag, heute sind es 126. Für sparsame Zeiten aber ist das Netz nicht ausgelegt.

Insgesamt 500.000 Kilometer lang sind die Abwasserkanäle, die die Republik durchziehen und abtransportieren, was Privatleute, Industrielle oder Gastwirte in den Ausguss kippen. Mehr als zehn Prozent der Rohre sind zwischen 80 und hundert Jahre alt. Weitere zehn Prozent kommen auf 50 bis 70 Jahre.

Und es bleibt nicht beim Gestank: Mittlerweile sickert und tropft es auch, weil viele Kanäle Risse haben. Die aggressiven Faulgase und der Rost setzen ihnen zu. Eine Sanierung aber ist teuer: Bis 2020, so haben die Forscher des DIfU errechnet, müssten rund 58 Milliarden Euro in die Erneuerung der Kanalisation gesteckt werden. Davon würden fast 46 Milliarden Euro im Westen benötigt. In den Osten sollen nur gut 12 Milliarden Euro fließen, weil dort in den letzten Jahren bereits viel investiert wurde.

Damit sei es allerdings nicht getan, meint Bernd Kirschbaum, Abwasserexperte beim Umweltbundesamt. "Die Kanäle im Osten sind zwar neuer, aber vielerorts auch völlig überdimensioniert." Anfang der neunziger Jahre hätten Planer nicht mit dem Mangel an Abwasser gerechnet. Möglicherweise müssten die Rohre nun mit eingezogenen Kunststoffschläuchen verkleinert werden. "Schlauchlining" nennen das die Fachleute.

Denkbar ist es aber auch, die unterirdische Kloake zu dezentralisieren und nicht jedes Haus an die zentrale Kläranlage anzuschließen. Bayern und Sachsen fördern schon heute Privatleute und Gemeinden, die auf ihren Grundstücken Kleinkläranlagen installieren.

Schnell wird der Umbau nicht passieren. "Unser umweltbewusstes Verhalten verursacht Nebenwirkungen", sagt Kirschbaum. "Für die Lösung brauchen wir aber noch Zeit."

Macht Sparen dann überhaupt Sinn? Wegen des Wassers sei das "nicht nötig", meint der Experte der obersten deutschen Umweltbehörde. Hierzulande gebe es Regen genug. Doch fürs Duschen oder Baden müsse Wasser erwärmt und später auch in der Kläranlage gereinigt werden. Das koste Energie. Deshalb sei es nach wie vor "richtig", den Verbrauch zu senken.

Forscher Beckmann sieht die Kanalbesitzer in der Pflicht. Das sind zum Beispiel die Berliner Wasserbetriebe. Die schicken nun tatsächlich öfter die Kanalreiniger an den Winterfeldtplatz, wo sie die Rohre mit Hochdruck durchspülen. Mancherorts schütten sie auch Eisenschlamm in die Kanalisation, der das Faulgas binden soll, damit es aus den Gullys nicht mehr zum Himmel stinkt. Und sie fragen, wie viele Gäste und wie viele Friteusen die Gastwirte haben.

Warum? "Wir haben ein Kanalstinkekataster erstellt", sagt Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe. "Demnach mieft es besonders dort, wo es viele Lokale gibt." Denn besonders gut faulten Fettschichten, die sich in den nicht ausgelasteten Abwasserrohren absetzen. Zwar sind die Gastronomen verpflichtet, ihr Abwasser durch einen Fettabscheider zu schicken. "Diese werden aber nicht immer oft genug gereinigt." Die Berliner Wasserbetriebe geben für ihre Antigeruchsaktionen in einem Jahr bereits jetzt drei Millionen Euro aus - Tendenz steigend. "Irgendwann liegt das auch auf dem Abwassertarif", meint Natz. Anders gesagt: Für den Verbraucher wird es teurer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Ok, die Abwasserstinke zeigt, dass Verzichtsmoralismus manchmal Quatsch ist. Dennoch darf - zumindest für die Zukunft - und in Weltregionen, in denen eine menschengerechte Ver- und Entsorgung erst aufgebaut werden muss - nach zukunftsfähigeren Konzepten als der gewohnten "End of Pipe Entsorgung" durch teure Kalanisation und Kläranlagen gefragt werden.

     

    Die Website der "German Toilet Organization" git dazu interessante Denkanstöße:

     

    (http://www.germantoilet.org/314.0.html?&L=0)

     

    Eine Person in Deutschland produziert pro Jahr etwa 500 Liter Urin, 50 Liter Fäkalien, aber etwa 100.000 Liter "Grauwasser" das aus der Nutzung von Waschmaschinen, Badewannen, etc. entsteht. Die wertvollsten Inhaltsstoffe (Dünger) sind im Urin enthalten. Bei "konventionellen" Abwassersystemen wird dieser mit der sehr viel größeren Menge an Grauwasser vermischt und damit unbrauchbar. Die krankheitserregenden Stoffe sind in den Fäkalien enthalten. Durch die Vermischung mit dem Grauwasser wird die gesamte Menge kontaminiert.

    Geeignete Sanitärsysteme können helfen, Trinkwasserressourcen zu schützen, die Gesundheitssituation zu verbessern, eine würdevollere Lebenssituation zu schaffen, natürlichen Dünger für die Landwirtschaft bereitzustellen, eine Energieressource darstellen (Biogas), Arbeitsplätze zu schaffen. Mehr als ein Drittel der global verwendeten mineralischen Düngemittel könnten durch konsequente Nutzung der in menschlichen Ausscheidungen vorhandenen Nährstoffe ersetzt werden. Wichtige Düngemittel (z.B. Phosphate) stellen endliche Ressourcen dar. Ähnlich wie beim Erdöl ist mit einem Erschöpfen der ökonomisch abbaubaren Quellen in 50 bis 100 Jahren zu rechnen.

  • K
    Karl

    Wieder einmal wird ohne Not (und Sachkenntnis) die protestanische Verzichtsethik bedient.

     

    Tatsache ist: Viele Kommunen haben zu große Rohrquerschnitte, weil sie auf unrealistische Ausbaupläne gesetzt haben. Da ist eine Anpassung an die tatsächlich anfallenden Mengen durchaus erforderlich. Zudem gilt es nach Misch- und Trennsystemen zu differenzieren. Die Genese von Schwefelwasserstoff in einem Gerinne deutet erstmal auf stehendes Wasser hin, möglicherweise auch auf mangelhafte Bauausführung.

    In fließenden Wasser (Gefälle!)kommt es sehr selten zu solchen Bedingungen.

     

    Allerdings, das ist kein Aufruf zu Verschwendung, sollte sich der regionale Trinkwasserverbrauch am nutzbaren Grundwasserdargebot orientieren, wenn der Grundwasserhaushalt im Gleichgewicht bleiben soll.

    Weil das nutzbare Dargebot auch einen Einfluss auf dne Wasserpreis hat sind starke regionale Unterschiede zu beachten.

    Unreflektierte Sparapelle sind wenig hilfreich und nicht geeignet die Situation überprüfbar zu verbessern.

     

    Gruß Karl

  • N
    Nibbler

    Hm, dabei wird die Erneuerung und Sanierung der Rohre doch Jahr für Jahr, Monat für Monat bei den Wasser- und Abwasserkosten eingerechnet. Wo ist das ganze Geld denn gelandet?